KALENDERBLATT MÄRZ 2018

Mathematik, quo vadis?

Planungsentwurf „Haus der Wissenschaften“ am Bussebart (1970) mit Sektion Mathematik in Etagen 8-10 (Quelle: UAR [3]).
Planungsentwurf „Haus der Wissenschaften“ am Bussebart (1970) mit Sektion Mathematik in Etagen 8-10 (Quelle: UAR [3]).

Die Gründung der Technischen Fakultät für Schiffbau (1950) und der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät (MNF, 1951) brachten dem Institut für Mathematik umfangreiche neue Anforderungen an Forschung und Lehre, ermöglichten aber auch die Berufung weiterer Professoren für Mathematik [1]. Damit wurden die räumliche Erweiterung des Instituts und die Nähe zu den technisch-naturwissenschaftlichen Instituten zu strategischen Planungsaufgaben, die allerdings seit sieben Dekaden von Planern, jeweiligen Landespolitikern und akademischer Verwaltung nicht vollständig gelöst werden konnten.

Schon 1956 begründete Institutsdirektor Ludwig Holzer (1891-1968) einen künftigen Bedarf von 680 m² Nutzfläche in einem Antrag an die Bauplanungskommission für das Jahr 1958. Dieser wurde zugunsten der Physik und Chemie zurückgestellt. 1966 verbesserte sich die räumliche Situation der Sektion Mathematik im Neuen Museum am Universitätsplatz 1 nach Auszug der Altertumswissenschaft und Übernahme von deren Räumen [1]. Im Juli 1966 formulierte Wolfgang Engel (1928-2010) in Umsetzung einer Konzeption zum mittelfristigen Ausbau der Sektion Mathematik einen vorläufigen Raumplan. Dort heißt es:

„Ein Neubau für die Sektion Mathematik könnte in einem Hochhaus … in 7 Geschossen und Keller untergebracht werden.“

Die Mathematik plante mit 4500 bis 5000 m² (inklusive Rechenzentrum, das damals noch zur Mathematik gehörte) [2]. 1968 konkretisierte der Sektionsdirektor Hans-Wolfgang Stolle (geb. 1927) den Raumbedarf für den Neubau Mathematik (Südstadt) mit künftig 154 wissenschaftlichen Mitarbeitern (davon 15 Professoren und 20 Dozenten) und 40 weiteren Mitarbeitern. Im sog. Verfügungsbereich 1 für die MNF in der Südstadt (Errichtung nach 1978 geplant) zeigen alle Planungsvarianten die Mathematik in der Albert-Einstein-Straße, gegenüber der heutigen Bibliothek und im Verbund mit anderen Instituten der MNF. Für ein Gebäude der Mathematik als Schreibtisch-Institut galten vergleichsweise geringe bauliche Anforderungen, die mit Standardplatten des Wohnungsbaukombinats Rostock realisierbar wären.

Spektakulär erscheinen heute Planungen von 1970 für ein Haus der Wissenschaften am Bussebart. Bis zur Realisierung des Verfügungsbereichs 1 sollte die Mathematik die Etagen 8 bis 10 belegen. Baubeginn für dieses 123 m hohe Gebäude in Form eines Segels war für 1973 geplant, die Fertigstellung für 1977 [3].

Seit den 1990er-Jahren sah die bauliche Entwicklungsplanung der Universität Rostock für alle Institute der MNF Baufelder in der Südstadt vor. Trotzdem versuchte das Dezernat Technik, Bau, Liegenschaften (D3) 2002, das Institut für Mathematik (IfMA) in die Parkstraße 6 zu verlegen. Mit der Sanierung des Hauptgebäudes wurde für das IfMA ab Juli 2009 eine Interimslösung in der nördlichen Hälfte der unsanierten, aber technisch ertüchtigten Ulmenstraße 69 Haus 3 geschaffen. Damit verfügte die Mathematik erstmals über eine angemessene Unterbringung.

Für 2012/13 wurde durch D3 der endgültige Umzug in die Albert-Einstein-Straße avisiert - je nach Wirtschaftlichkeit in den grundsanierten Plattenbau der ehemaligen Informatik oder nach dessen Abriss in einen Neubau (so noch im März 2014 in Plänen zur baulichen Entwicklung der Universität zu lesen). Am 21.05.2015 informierten im Workshop Ulmicum Rektor, Dezernat Bau und Bildungsministerium die im doppelten Wortsinn betroffenen Bereiche über die Pläne zur Entwicklung des Ulmen-Campus. Im Protokoll heißt es u. a.:

"Institut für Mathematik soll in das Gebäude des Physikalischen Institutes (Universitätsplatz 3) nach dessen Räumung und Grundsanierung verortet werden."

Das widersprach allen bisherigen Bemühungen um die strategisch sinnvolle Verortung des IfMA als Teil des MINT-Campus in der Südstadt. Weder der Dekan der MNF, Klaus Neymeyr (1964) mit dem Geschäftsführenden Direktor des lfMA, Konrad Engel (1956), noch gemeinsame Appelle aller Geschäftsführenden Direktoren der Institute der MNF und des Fakultätsrats konnten den Rektor und D3 zu einem Kurswechsel bewegen. Am 18.11.2016 stellte Finanzminister Mathias Brodkorb die Pläne zum Ulmicum der Öffentlichkeit vor. Die Verdrängung der Mathematik aus der Ulmenstraße 69 Haus 3 in eine sanierte Physik wird damit zu einer Voraussetzung für den Baustart dieses Großprojekts. Obwohl die Nutzfläche der alten Physik mit 1700 m² den bestätigten Bedarf des IfMA von 2300 m² nicht bietet, wurden nach ministerieller Entscheidung im Herbst 2017 diese Planungen forciert. Erste Raumpläne sehen neben den Flächen im denkmalgeschützten (!) Physikgebäude Ergänzungsflächen an alter Wirkungsstätte im Neuen Museum vor. Der Umzug der Mathematik soll 2021 erfolgen. Ein MINT-Campus ist zwar nicht (mehr) in Sicht, aber vielleicht ist damit das Wohin? für die Mathematik geklärt.

Andreas Straßburg

Quellen

[1] W. Engel: Mathematik und Mathematiker der Universität Rostock 1419 – 2004. Rostock. Math. Kolloq. 60, 2005.

[2] Universitätsarchiv Rostock: Math.-Nat. Fak. 414, Mathematisches Inst., Neubauplanung 1956 – 1970.

[3] Universitätsarchiv Rostock: Rektorat ab 1945, 3144, Grundkonzeption zum "Haus der Wissenschaften" der Universität Rostock 1970.