KALENDERBLATT SEPTEMBER 2017

Der Bioclub

Einer der kleineren Studentenclubs der Universität war der Bioclub, der sich von 1978 bis September 1996 [1] im Studentenwohnheim am Wilhelm-Pieck-Ring, heute Am Vögenteich 14, befand. Hier residierte der Club auf kleinstem Raum, ca. 25 m2 einer „Ein-Raum-Neubauwohnung“ wurden genutzt. Das Bad wurde zur Bar mit Zapfanlage umfunktioniert. Man traf sich an den Abenden zwanglos zu Gesprächen, zum Spielen und zum Feiern bei Bier und Wein. Außerdem wurden Dia-Vorträge über Reisen gehalten, interessante Veranstaltungen zu naturwissenschaftlichen Themen und Ende der 1980ger Jahre dann auch zunehmend zu gesellschaftspolitischen Themen angeboten. Der Club hatte in der Regel 1 x pro Woche geöffnet, die Abende wurden gut besucht, sie waren ein wichtiger Bestandteil des studentischen Lebens in den Wohnheimen (Foto 1).

Im Bioclub Ende der 1970er Jahre: Die Biologie-Studenten Thomas Bittorf, Fritz-Karl Evert und Martin Hagemann (v. li. n. re) im Gespräch (Foto: T. Vökler).
Im Bioclub Ende der 1970er Jahre: Die Biologie-Studenten Thomas Bittorf, Fritz-Karl Evert und Martin Hagemann (v. li. n. re) im Gespräch (Foto: T. Vökler).

Die Wände des Clubs zierten über die Jahre von Studenten gemalte „Kunstwerke“, von denen eines zum beliebten Wahrzeichen des Bioclubs avancierte: das Umweltschutz-Wandbild. Gemalt wurde es von künstlerisch begabten Studenten unter Leitung des ehemaligen Lehramtsstudenten Jörg-Peter Rabe und mit tatkräftiger Unterstützung der ÖkologiestudentInnen Ute Burkhardt und Dirk Böhme. Dieses Wandbild beschäftigt sich mit der Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie: auf der einen Seite der Traum einer jungen Studentin von einer sauberen Umwelt, auf der anderen Seite die real existierende Umweltverschmutzung in der DDR. Lokale Besonderheiten und kleine Episoden aus dem Biologie-Studium bereicherten das Kunstwerk. Die Künstler wagten schon 1988 Zukunftsvisionen wie alternative Formen der Energieerzeugung und einen modernen ÖPNV aufzuzeigen. Träume von Stätten für Kunst und Kultur sind durch die Darstellung der Oper von Sydney auf dem Wandgemälde zu finden. Eine Kopie dieses Umweltschutz-Wandbildes in Originalgröße ist heute im Eingangsbereich des Wohnhauses Am Vögenteich 14 zu finden (Foto 2).

Kopie des Umweltschutz-Wandbildes aus dem Bioclub von 1988 (Foto: G. Fulda).
Kopie des Umweltschutz-Wandbildes aus dem Bioclub von 1988 (Foto: G. Fulda).

Der Bioclub galt ab Mitte der 1980er Jahre als ein Sammelbecken für ökologisch engagierte Studierende, vorrangig aus der Sektion Biologie der Universität. Das Engagement des Bioclubs und seiner Besucher machte vor den Toren des Clubs nicht halt. Die Studenten trafen sich an Wochenenden zu Arbeitseinsätzen in den Naturschutzgebieten wie dem Hütelmoor, Kösterbeck und Teufelsmoor. Stadtbekannt wurde der Club durch sein Engagement für den Erhalt des Lindenparks als einen naturnahen Park ohne Straßenquerung.

Zwei Jahre vor der damals kaum zu erahnenden Wende entwickelte der Bioclub ein neues Veranstaltungsformat, welches weit über den Club hinaus bekannt wurde. Als Name hierfür hatten die Studenten den öffentlich wirksamen Slogan „Nach uns die Sintflut“ gewählt. Die Veranstaltung richtete sich an junge Leute außerhalb der Sektion Biologie mit dem Ziel, größere studentische Personengruppen für die Umweltproblematik zu sensibilisieren und zum Engagement für das Thema anzuregen. Nachdem die erste Veranstaltung 1987 in der Bierstube der Mensa Südstadt gut gelungen und auch gut besucht war, wurde die Folgeveranstaltung 1988 besonders gut vorbereitet und unter das Motto des Umweltthemas „Wasser“ gestellt. Eine messeähnliche Präsentation von Umweltinitiativen mit Informationsständen, eine Vortragsreihe sowie Konzerte mit dem Liedermacher Reimar Gilsenbach aus der Umweltbewegung und dem Berliner Liedermacher Gerhard Schöne sorgten dafür, dass diese Veranstaltung in der Mensa Südstadt mit 1600 Gästen zu einem großen Erfolg wurde.

Der Bioclub gehörte bis zur Wende zu den FDJ-Studentenclubs. Koordiniert wurden die Clubs durch die Hochschulgruppenleitung (HGL) der FDJ. Das machte viele Dinge ihrer Öffentlichkeitsarbeit einfacher. So war es den Akteuren des Bioclubs möglich, ohne aufwendige Genehmigungsverfahren, Faltblätter und Plakate drucken zu lassen oder selbst Umfragen zu Umweltthemen durchzuführen. Diesen Freiraum nutzten sie für ihre Arbeit bewusst aus. Umweltgruppen der Gesellschaft für Natur und Umwelt (GNU) dagegen benötigten für solche Dinge Genehmigungen, die viel Zeit in Anspruch nahmen und die auch nach einem negativen Bescheid begraben werden mussten.

Das Engagement für Umwelt- und Naturschutzthemen stieß nicht immer auf Gegenliebe bei den staatlichen Organen. So verwundert es nicht, dass die Stasi ein sehr waches Auge auf die Sektion Biologie und insbesondere auf den Bioclub hatte. Schon allein die bloße Beschäftigung mit der Umweltproblematik war virulent. Sollte man dazu noch ein Engagement entwickeln, so lief man Gefahr, ganz schnell auf Konfrontationskurs mit der Partei- und Staatsführung zu geraten. So versteht sich, dass die Stasi im Juni 1989 eine „Einschätzung zur politisch-ideologischen Situation unter den Biologiestudenten der W.-Pieck Universität Rostock“ erarbeitete und diese der Hauptabteilung XX des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin „… zur Kenntnisnahme und operationellen Auswertung übergibt“ [2]. Die Stasi beauftragte drei Informelle Mitarbeiter (IM) zur Überwachung des Bioclubs.

Im Oktober 2016 fand ein Treffen ehemaliger Biologiestudenten der 1970er Jahrgänge in Rostock statt. Zu den vielen lebhaften Erinnerungen aus der Studienzeit gehörten auch die an gemeinsam verbrachte Abende im Bioclub [3].

Tomas Brückmann

Quellen

[1] Nach Auskunft des Studentenwerkes Rostock wurde das Wohnheim Am Vögenteich 14 bis September 1996 vom Studentenwerk bewirtschaftet.

[2] Ministerium für Staatssicherheit (1989): Operative Personen Kontrolle (OPK) "Pflanzen" in der persönlichen Akte von Tomas Brückmann, eingesehen in Leipzig 1994.

[3] Mündliche Mitteilung von Martin Hagemann.