Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät

Institut für Biowissenschaften

Fachgebiet: Zoologie

Betreuer: Prof. Dr. Ragnar Kinzelbach



Diplombiologin Katharina Springer
(e-mail: katharina.springer@gmx.de )

„De avium natura“ von Conrad Gessner (1516-1565) als Quellenwerk für Faunendynamik, Umweltgeschichte und Kulturzoologie

Die lateinische Originalausgabe (1555, zweite Auflage 1585) des Vogelbuchs des Zürcher Zoologen Conrad Gessner (1516-1565) stellt die wichtigste Originalquelle für avifaunistische Daten des 16. Jh. in Mitteleuropa. Eine besondere Bedeutung für die historische Faunistik kommt dem Vogelbuch dadurch zu, dass es den Zustand der mitteleuropäischen Vogelwelt aus der klimatischen Übergangsphase zwischen mittelalterlichem Klimaoptimum und dem Einsetzen der kleinen Eiszeit dokumentiert. Ebenso dokumentiert sind Veränderungen der Landschaft, der agrarischen Strukturen und Wirtschaftsweisen, die sich deutlich vom mittelalterlichen Zustand abgrenzen lassen. Mit rund 260 im Vogelbuch nach Bild und Text identifizierten Vogelarten ließ sich ein Großteil der Avifauna des 16. Jh. in Mitteleuropa rekonstruieren sowie die historischen Areale der in der Quelle enthaltenen Taxa. Bei einigen Arten finden sich Unterschiede gegenüber der heutigen Situation. Die Ursachen werden diskutiert. Weiterhin gibt die Arbeit Einblick in die Nomenklatur und Systematik Gessners, die Ansätze zum biologischen Artkonzept aufweist. Die enge Verflechtung der Fakten mit dem wissenschaftshistorischen Hintergrund bedingte die Kenntnisnahme der Person Gessners als Mittler der avifaunistischen Daten. Gegenstand der Untersuchung waren daher ebenso Person und Leistung Gessners, die in seiner ihm eigenen präzisen Darstellung der Vogeltaxa zum Ausdruck kommen. Dass nur die lateinischen Originalausgaben von 1555 bzw. 1585 zur Auswertung und als Maßstab für Gessners Leistung herangezogen werden können, zeigt die vergleichende Wiedergabe der Vogelillustrationen in den Schlüssel-Editionen des Vogelbuches, der vollständigsten lateinischen Originalausgabe von 1585 mit der stark abgeänderten deutschen Volksausgabe von Georg Horst 1669 (Hrsg). Letztere wurde und wird auch oft heute noch irrtümlich für den „echten Gessner“ gehalten und bewirkte eine Fehleinschätzung Gessners. Schließlich ist damit auch das gesamte Original-Bildmaterial integriert, das als zeitgenössisches Dokument Auskunft über die Identität der Arten sowie der damaligen Präparationstechnik gibt.

The bird book by Conrad Gessner (1516–1565), originally written in Latin (1555, second edition 1585), is the principal source for avifaunistic data in 16th century Central Europe. The book is of great significance for historical faunistics, documenting the condition of the Central European bird community during the climatic transitional phase between the medieval climate optimum and the Little Ice Age. The contents also describe changes of landscape, agricultural structures and economical habits, which can be clearly distinguished from Middle Age conditions. Approximately 260 bird species were identified from the text and illustrations, enabling the reconstruction of the bulk of 16th century Central European avifauna. Further analysis also revealed information about the historical distribution of the described taxa. Some species show differences when compared to the present day situation. Reasons are discussed. The work also provides an insight into Gessner’s nomenclature and systematics, which shows approaches to the biological species concept. The facts seen in context with the scientific-historical background are the basis for recognizing Gessner as a mediator of avifaunistic data. Consequently this study also examines Gessner’s personality and achievements, which are expressed in his own precise representation of the bird taxa. The bird-illustrations in the greatly modified German popular edition from Georg Horst 1669 (ed.) were compared with those of the completed Latin original editions from 1555 and 1585. This reveals that only Gessner’s Latin originals can be used for the analysis and as a yardstick for assessing his achievements. The 1669 edition was often mistaken for a “real Gessner” causing a misinterpretation of Gessner. Finally, the complete collection of original illustrations is included in this treatise, as a medieval source of information about the identity of species and a document of historical avian taxidermy.