KALENDERBLATT DEZEMBER 2014

Wissenschaftliches Arbeiten in Studentenzirkeln an der Sektion Biologie 1978-1985

Meine Studienzeit an unserer Universität liegt nunmehr 30 Jahre zurück. In positiver Erinnerung sind mir und vielen Kommilitonen u.a. Aktivitäten in wissenschaftlichen Studentenzirkeln geblieben. Hier konnten wir dem Humboldt’schen Bildungsideal folgend schon während unseres Studiums aktiv an Forschungsvorhaben mitwirken. Auch in heutigen Studienplänen sind Forschungspraktika Bestandteil, die ein vergleichbares Ziel verfolgen. Der kleine, entscheidende Unterschied besteht darin, dass wir es damals ganz und gar freiwillig in unserer Freizeit taten und diese Leistung kein Pflichtteil unseres Studiums war. Auf Grund der gesperrten Archivbestände war ein Aktenstudium leider nicht möglich, so dass die hier niedergeschriebenen Angaben zu ausgewählten Studentenzirkeln aus Gesprächen  mit den Beteiligten stammen und in der Tabelle zusammengefasst sind.

Einem Zirkel gelang es sogar internationale Beachtung zu finden, da die Arbeiten in dem vom damaligen Dozenten Karl Jürß geleiteten Studentenzirkel für Experimentelle Phylogenetik  in vier Publikationen renommierter Zeitschriften erschienen. Schon in der damaligen Zeit gewannen phylogenetische Analysen in der Biologie zunehmend an Bedeutung, fanden jedoch im Lehrangebot wenig Beachtung. Der Studentenzirkel widmete sich solchen Fragestellungen und fand mit dem dreistachligen Stichling einen noch heute hochinteressanten Modellorganismus. Von dieser Fischart existieren drei Ökotypen, deren postulierte unterschiedliche Adaptationsfähigkeit an Umweltfaktoren durch biochemische und physiologische Untersuchungen experimentell bestätigt werden konnte [6]-[8]. Darüber hinaus gelang es mit Hilfe  physiologischer Untersuchungen für eine in Aquakultur gezüchtete Buntbarschart, Oreochromis mossambicus, denEinfluss des Salzgehaltes auf den möglichen Ertrag zu analysieren [9].

Mitglieder des Zirkels Experimentelle Phylogenetik bei der Probenahme an der Beke bei Schwaan (v. l. nach r.: T. Vökler, K. Jürß, R. Wacke) (Foto: T. Bittorf).
Mitglieder des Zirkels Experimentelle Phylogenetik bei der Probenahme an der Beke bei Schwaan (v. l. nach r.: T. Vökler, K. Jürß, R. Wacke) (Foto: T. Bittorf).
Mitglieder des Zirkels Experimentelle Phylogenetik bei der Auswertung ihrer Versuchsergebnisse (v. l. nach r.: R. Wacke, R. Bastrop, T. Bittorf, K. Jürß) (Foto: T. Vökler).

Auswahl von wissenschaftlichen Studentenzirkeln an der Sektion Biologie

Arbeitsgebiet Leiter des Zirkels Mitwirkende Studenten Publikationen
Phytoplankton Volkbert Kell, Ricarda Börner Ricarda Börner, Wolfgang Bloß, Thomas Vökler, Martin Hagemann, Gabriele Gerstädt, Stefan Mikkat [3] Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, Naturwissenschaftliche Reihe 31 (6), 1982, 127-30.
Primärproduktion Ulrich Schiewer [1] Sabine Fulda, Thomas Hübener, Gerald Gase, Anna Genčiova, Annette Krämer, Torsten Mehlkopf, Zuzana Pauličkova [4] Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, Naturwissenschaftliche Reihe 33 (6), 1984, 46-52.
Zooplankton Hartmut Arndt Joachim Kobel, Axel Michalk, Frank Wronna, Roger Burckhardt, Uwe Lenschow, Detlef Franek, Ulrike Dreyer [5] Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, Naturwissenschaftliche Reihe 31 (6), 1982, 57-61.
Experimentelle Phylogenetik Karl Jürß [2] Thomas Bittorf, Rainer Wacke, Thomas Vökler, Ralf Bastrop Zoologisches Jahrbuch, Physiologie [6] 86, 1982, 267-272; [7] 87, 1983, 1-7; [8] 89, 1985, 441-451; [9] Aquaculture, 40, 1984, 171-182.

Zirkelmitglieder nutzten darüber hinaus die Möglichkeit, eigene wissenschaftliche Fragestellungen zu entwickeln und diese auch Fachdisziplinen-übergreifend zu bearbeiten. Ein Beispiel hierfür sind  die komplexen Untersuchungen zu Lebensgemeinschaften am Teufelssee, einem dystrophen Moorsee  nahe Tessin. Hierzu wurden gemeinsam Phytoplankton (S. Mikkat, G. Gerstädt), Pilze (G. Gerstädt),  Moose und höhere Pflanzen (C. Berg)  sowie Zooplankton (U. Dreyer; R. Burkhardt) kartiert. Die Ergebnisse wurden 1985 auf der 3. Zentralen Konferenz junger Biologen vorgestellt und mit dem 1. Preis des Ministers für Hoch- und Fachschulwesen ausgezeichnet.

Für einige Zirkelmitglieder gab es aber auch Einschränkungen, die aus heutiger Sicht kaum noch  vorstellbar sind. Im Phytoplanktonzirkel wurden die Wasserproben aus der Ostsee genommen, fixiert und im Labor mikroskopisch ausgewertet, d.h. die Algenarten wurden bestimmt und deren Anzahl ausgezählt,  um die  jährlichen Veränderungen der Mikroalgenzusammensetzung zu untersuchen. Leider waren die meisten Studenten des Zirkels von einer beliebten Aktivität, der Probenahme auf See, ausgeschlossen. Das Untersuchungsgebiet lag in der südlichen Ostsee vor Warnemünde und gehörte zum Grenzgebiet, das nur mit entsprechenden Papieren „betreten“ werden durfte. Daher konnten an den Ausfahrten mit einem Kontrollboot der damaligen Wasserwirtschaftsdirektion nur die wenigen Studenten teilnehmen, die nach „Bestehen“ eines umfangreichen Genehmigungsverfahrens über ein Seefahrtsbuch bzw. einen Passierschein  „PM18“ oder „PM19“ (Pass- und Meldewesen) verfügten.  Alle anderen Studenten durften nicht mitfahren (so wurden sie auch nicht seekrank) und nahmen Proben am Molenkopf von Warnemünde.

Diese wissenschaftlichen Studentenzirkel boten andererseits ungeahnte Freiräume für Forschungsarbeiten, die von keiner Autorität im Hochschulapparat in Frage gestellt wurden. So war jeder Professor sehr froh, sich in seinem Lehrstuhl mit einem Zirkel „schmücken“ zu können, und sah gegebenenfalls notgedrungen über „missbrauchte“ Freiheiten von Mitarbeitern hinweg. Für die Studenten waren  die  erlernten wissenschaftlichen Arbeitsweisen, die erworbenen Arten- und Methodenkenntnisse sowie das „Reinschnuppern“ in die reale Wissenschaft für ihre weitere berufliche Entwicklung von bleibendem Wert.

Ich möchte diesen Artikel schließen mit den Worten von Thomas Bittorf, in denen  unsere Begeisterung sehr schön zum Ausdruck gebracht wird. 

„Für mich war dieses Gefühl, unbehelligt von jeder Autorität zusammen mit Freunden an einer Fragestellung zu arbeiten, die uns brennend interessiert, einfach wunderbar!"

Sabine Fulda

Quellen

[1] Eintrag zu Ulrich Schiewer im Catalogus Professorum Rostochiensium: http://purl.uni-rostock.de/cpr/00001581.
[2] Eintrag zu Karl Jürß im Catalogus Professorum Rostochiensium: http://purl.uni-rostock.de/cpr/00001937.

sowie die in der Tabelle angegebenen Publikationen [3]-[9]