KALENDERBLATT JANUAR 2014

Der Chemiker Friedrich-Franz Wiese (1929-2009)

„Wiese? Chemiker? Nein, er ist uns unbekannt,“ werden viele sagen. Aus diesem Grunde ist es besonders wichtig, ihn und sein Schicksal hier vorzustellen.

Wiese wurde in Rostock geboren. Sein Vater war Landwirt, seine Mutter Lehrerin. 1947 legte Wiese in Parchim sein Abitur ab und begann ein Studium der Chemie in Rostock. Schon seit Mai 1946 war er Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei (LDP), ab 1949 deren Landeshochschulreferent. Er hatte engen Kontakt zu Arno Esch (1928-1951), der in Rostock Jura studierte und in der LDP zuerst Jugendreferent, dann Mitglied des Hauptausschusses und des Zentralvorstandes wurde.

Im Oktober 1949 wurden Friedrich-Franz Wiese, Arno Esch und 12 weitere Mitglieder der LDP Mecklenburgs vom NKWD (Народный комиссариат внутренних дел - Volkskommissariat für innere Angelegenheiten) verhaftet und nach Schwerin in das Landesgefängnis gebracht. In einem sogenannten Militärtribunal wurden die Inhaftierten zum Tode (u.a. Arno Esch) bzw. zu 25 Jahren Zwangsarbeit (u.a. Friedrich-Franz Wiese) verurteilt. Die Zweiten  wurden nach Bautzen und dann nach Berlin-Lichtenberg gebracht, wo sie erneut verurteilt wurden. Wiese erhielt das Todesurteil, das ein Jahr später in 25 Jahre Zwangsarbeit umgeändert wurde. Wiese kam in GULags in Tajšet, Omsk, Karaganda und Sverdlovsk. Die Grauen des Lagerlebens lassen sich nicht mit wenigen Worten beschreiben. Wiese war auch beim Bau des ersten Abschnitts der Baikal-Amur-Magistrale eingesetzt, von der ehemalige Gefangene sagten, dass unter jeder Schwelle mindestens ein Toter läge.

Nach Adenauers Besuch in Moskau im September 1955  wurde Wiese im Dezember in die Bundesrepublik entlassen. In Bonn nahm Wiese1956 erneut ein Chemiestudium auf, das er 1964 mit der Promotion abschloss. Von 1965 bis 1990 arbeitete er bei der BASF in Ludwigshafen.

Nach 1990 wurde auch  Friedrich-Franz Wiese rehabilitiert. Doch die Jahre im Lager lassen sich nicht auslöschen, weswegen Wiese seine Erinnerungen mit den Worten schließt: „Alles, was das Leben danach noch an Maulschellen verteilt hat, bis hin zum Krebs, alles das war nicht mehr so schlimm.“ [1, 218]

Friedrich-Franz Wiese hatte sich bereits seit 1988 um die Aufklärung des Schicksals der Hinterbliebenen der Esch-Gruppe engagiert. 2005 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.   

Gisela Boeck

Den Hinweis auf Friedrich-Franz Wiese verdanke ich Dr. Peter Moeller vom Verband Ehemaliger Rostocker Studenten (VERS).

 

Im Entlassungslager (F.-F. Wiese hinten rechts), Foto: [1, 210]
Rehabilitierungsdokument Foto: [1, 18]

Quellen

[1] F.-F. Wiese: Zum Tode verurteilt! Überleben im Gulag. ß Verlag & Medien GbR, Rostock, 2009.
[2] http://www.gulag.memorial.de/person.php?pers=48