KALENDERBLATT SEPTEMBER 2015

Von Rostock nach Piesteritz - Ein Zeitzeuge berichtet

Sammelgrube für die mit einem Wasserstrahl granulierte Schlacke, die entweichenden Brüden enthalten Fluorverbindungen (Foto: aus dem Besitz des Autors).

Von 1951 bis 1957 studierte ich an der Universität in Rostock Chemie. Meine Diplomarbeit fertigte ich am Physikalisch-Chemischen Institut an. Wegen Lieferschwierigkeiten spezieller Ausrüstungsteile für Geräte, die für meine Forschungsarbeit notwendig waren, konnte ich nicht pünktlich meine Ergebnisse einreichen und musste die Regelstudienzeit um 9 Monate überziehen. Das blieb nicht ohne Auswirkungen auf meinen späteren beruflichen Einsatz. Der Forschungsdirektor des Stickstoffwerkes Piesteritz hatte unter uns Studenten Werbung gemacht, ich hatte mit ihm sogar schon ein Forschungsthema vereinbart, mit dem ich mich nach dem Studium im Betrieb beschäftigen sollte. Da mein Arbeitsantritt nun aber verspätet erfolgte, war es bereits an andere vergeben. Damit war meine Aufgabe im Werk erst einmal unklar. Überdies hatte sich der Forschungsdirektor wenige Minuten vor meinem Eintreffen aus Westberlin abgemeldet. Zufällig traf ich auf  dem Werksgelände einen ehemaligen Oberassistenten aus dem Rostocker Anorganischen Institut, der seit einigen Monaten in Piesteritz arbeitete. Er setzte gegenüber der Kaderabteilung durch, dass ich in das Phosphorofenhaus – also zu der Herstellung reinen Phosphors – kam und von ihm angeleitet wurde. Meine erste Aufgabe war die Bearbeitung einer neuen Technologie der Rohstoffaufarbeitung für den Phosphorofen. Mit diesem Thema hatte sich bereits ein hochqualifizierter Laborant beschäftigt, der wenige Wochen zuvor von einer Westreise nicht zurückgekehrt war. Auch die Unterlagen über seine bisherige Arbeit waren verschwunden. Kurz bevor meine Ergebnisse für die Planung einer großtechnischen Überprüfung in der Versuchsanlage eines anderen Werkes abgeschlossen waren, kam schließlich auch mein Betreuer von einer Westreise nicht zurück.

So hatte ich in der ersten Zeit sehr wenig fachliche Betreuung. Ich hatte mich von Anfang an intensiv mit dem Phosphorofen beschäftigt und mehrere  Schwierigkeiten bei seiner Beherrschung erkannt. So wurden die Ansätze stöchiometrisch nicht richtig berechnet. In den Absaugleitungen lagerte sich Eisensilicofluorid ab (Phosphor wurde aus Fluorapatit Ca5[F(PO4)3]gewonnen, das von der Halbinsel Kola stammte). Diese Fluoremission interessierte mich sehr. Zu dieser Zeit stieg der Bedarf an Fluor im Zusammenhang mit der Produktion von Haushaltskühlschränken nämlich stark an.

Da bei der Absolventenwerbung an der Universität betont worden war, dass für jeden neu eingestellten Absolventen eine Möglichkeit zur Promotion besteht, nahm ich Kontakt zu Frau Dr. Brigitte Sarry auf, um die Fluorabscheidung unter ihrer Leitung zu bearbeiten. Doch fand ich schließlich nicht die Zeit für eine Promotion, da die Alltagsaufgaben zu bewältigen waren. Trotzdem war ich an wissenschaftlichen Untersuchungen zum Einsatz von Apatit aus verschiedenen Lagerstätten beteiligt.

Erste Auswertung eines Großversuches, der Autor des Beitrages 2. v. l. (Foto: aus dem Besitz des Autors).

Ich wurde stellvertretender Leiter des Phosphorofenhauses, prüfte ausführlich die Ofenfahrweise und konnte durch deren gezielte Fahrweise und die anschließende Auswertung wertvolle Erfahrungen sammeln.

1959 begannen die Vorbereitungen für die Inbetriebnahme des zweiten Phosphorofens. Der Anfahrbetrieb erfolgte im Laufe der Jahre 1960/61. Neben dem Investbauleiter war ich bei der Inbetriebnahme für die Technologie verantwortlich. 1963 kam noch das Anfahren der neuen Rohstoffaufbereitung für die Phosphoröfen dazu.

1964 übernahm ich die Funktion des Betriebsleiters im Phosphorofenhaus. Damals wurden Leiter aus der mittleren und oberen Ebene sehr oft aus vielerlei Gründen ab- oder umgesetzt. So stieg ich Ende der 1960er Jahre zum Stellvertreter des Hauptabteilungsleiters und bald darauf zum Hauptabteilungsleiter auf. 1970 erfolgte eine Erweiterung meiner Hauptabteilung um eine Anlage zur Erzeugung von hochkonzentrierter Salpetersäure. Obwohl das Verfahren dem neuesten Stand entsprach, gab es erhebliche Probleme. Ich wurde deshalb für längere Zeit in diese Anlage umgesetzt und war wieder an der Inbetriebnahme einer Großanlage beteiligt.

Die Phosphoröfen in Piesteritz wurden Mitte 1990 für immer stillgelegt und später demontiert. Auch wenn ich nicht die akademische Karriere weiterverfolgt habe, hat mir das Studium in Rostock wichtige Grundlagen für meinen späteren Einsatz in der Industrie vermittelt.

Günther Schmädt