KALENDERBLATT JULI 2017

In dunkler Zeit – Rostocker Mathematiker zwischen 1933-1935 (II)

Hans Julius Zassenhaus im Jahre 1984 (Foto aus [1]).

Im November 1934 wurde die Hilfsassistentenstelle des Mathematischen Seminars durch Hans Julius Zassenhaus (1912 – 1991) besetzt. Zassenhaus, der bereits als Student im 6. Semester mit seinem „Schmetterlingslemma“ einen konstruktiven Beweis des Verfeinerungssatzes von Jordan-Hölder-Schreier lieferte, hatte gerade im Sommer 1934 am Mathematischen Seminar in Hamburg unter Emil Artin (1898 – 1962) mit „Auszeichnung“ promoviert. Artin erklärte, „dass er ihm jetzt nicht viel anbieten könne, aber Prof. Furch in Rostock benötige einen Assistenten, dem er für 9 Monate im Jahr monatlich 150,– RM zahlen könne.“ [1]

Zur Besetzung der Stelle waren fachlichen Kriterien entscheidend, seit Ende August 1934 aber auch ein Nachweis zur arischen Abstammung und Auskunft über politische Gesinnung und Zuverlässigkeit erforderlich. Am 7. November 1934 ging hierzu eine Anfrage an die zuständige NSDAP-Kreisleitung des bisherigen Wohnortes Altona. Die Antwort traf am 13. Dezember in Rostock ein:

"Es wurde aber übereinstimmend von verschiedenen Seiten angegeben, dass Dr. Z. in politischer Beziehung nicht als einwandfrei bezeichnet werden kann. Dr. Z. hat sich im Januar ds.Js. in einem hiesigen Geschäft abfällig über Männer der Regierung und im besonderen über den Ministerpräsidenten Göring, geäussert. Als Dr. Z. hierauf aus dem Laden verwiesen wurde, äffte er in übler Weise den Hitlergruss nach. Nach vorstehendem ist es u.E. nicht angebracht, den Dr. Z. wie vorgesehen einzustellen." [1]

Bereits am 14. Dezember 1934 reagierte der Regierungsbevollmächtigte an der Universität, Otto Dehns (1876-1943), und schrieb an Furch: "Nach den von mir angestellten Ermittlungen vermag ich meine Zustimmung zur Einstellung des Dr. Zassenhaus … nicht zu erteilen. Sie wollen Dr. Zassenhaus zum 31. Dezember 1934 entlassen." [1]

Diese negative Beurteilung konnte für Zassenhaus das sofortige Ende der gerade begonnenen wissenschaftlichen Karriere bedeuten. Er reagierte umgehend, erhob bei der NSDAP-Kreisleitung Altona gegen die Beurteilung Einspruch und erreichte, dass bei Vorliegen von Empfehlungen durch Parteigenossen eine Revision erfolgen könne. Zassenhaus erhielt in kürzester Zeit (sicher mit Unterstützung Furchs, Blaschkes und der Familie) vier überaus positive Gutachten von NSDAP-Mitgliedern:

  • am 17. Dezember 1934 von Studienrat Hartke, Mitglied der NSDAP-Ortsgruppe Bahrenfeld
  • am 22. Dezember 1934 von Professor Wilhelm Blotevogel, Dozentenbundführer an der Hamburger Universität
  • am 24. Dezember 1934 von Senator Prof. Dr. Hoffmann, Stadtschulrat in Hannover
  • am 27. Dezember 1934 von Professor Dr. Pascual Jordan, Physik, Universität Rostock.

Am 29. Dezember 1934 – genau ein Jahr nach dem auslösenden Vorfall in der Buch- und Musikalienhandlung – übergab Zassenhaus die Gutachten der NSDAP-Kreisleitung Altona. Zwischenzeitlich hatte Furch Dehns informiert, dass Schritte zur Revision des Urteils unternommen wurden. Dehns verschob daraufhin und nach Rücksprache mit dem Leiter des Ministeriums für Unterricht, Kunst, geistliche und Medizinalangelegenheiten in Mecklenburg-Schwerin Bildungsminister Wilhelm Bergholter (1897-1982) den Kündigungstermin auf das Semesterende (31. Januar 1935). Am 16. Januar 1935 formulierte Zassenhaus in Absprache mit Furch einen Brief an das Reichsunterrichtsministerium in Berlin mit der Darstellung des Vorgangs, der Bitte um Stellungnahme und der Beifügung der durch Blaschke beglaubigten Gutachtenkopien. Dieses Schreiben ging am 18. Januar 1935 über Dehns und Bergholter nach Berlin und gleichzeitig als Kopie an die Gauleitung Schleswig-Holstein in Kiel. Von dort traf über Bergholter am 5. März 1935 die erlösende Mitteilung ein: "Da uns ein Beweis seiner nichtnationalsozialistischen Gesinnung fehlt, haben wir in Anbetracht seiner großen geistigen Fähigkeiten nichts dagegen einzuwenden, wenn die Kündigung des Dr. Hans Zassenhaus zurückgezogen wird."

Am 8. März 1935 konnte Zassenhaus schließlich seinen Anstellungsvertrag unterschreiben. Bis Juni 1936 blieb er in Rostock, bereitete sich auf das Staatsexamen für das höhere Lehramt vor und schrieb sein epochemachendes Buch über Gruppentheorie. [2], [3]

"Daß ein Mathematiker von 25 Jahren ein Lehrbuch schreibt, welches 30 Jahre lang das Standardwerk bleibt, aus dem jeder Student Gruppentheorie lernt, ist ein Wunder. Daß der Autor dadurch in seiner Forschung nicht aufgehalten wird, ist ein zweites Wunder." [3]

Man möchte hinzufügen, dass er dies trotz des politischen Drucks schaffte, ist das dritte Wunder.

Andreas Straßburg

Titelblatt der Dissertation aus dem Jahr 1934, die maßgeblich die Entwicklung der Gruppentheorie beeinflusste, hier als Sonderdruck (Quelle: Wikipedia, gemeinfrei).
Titelblatt der Dissertation aus dem Jahr 1934, die maßgeblich die Entwicklung der Gruppentheorie beeinflusste, hier als Sonderdruck (Quelle: Wikipedia, gemeinfrei).
Standardwerk zur Gruppentheorie bis in die 1960er. Ein zweiter Band wurde nie gedruckt (Quelle: Antiq. Bookfarm, Sebastian Seckfort, Leipzig).
Standardwerk zur Gruppentheorie bis in die 1960er. Ein zweiter Band wurde nie gedruckt (Quelle: Antiq. Bookfarm, Sebastian Seckfort, Leipzig).

Quellen

[1] Universitätsarchiv Rostock: Assistenten und Hilfskräfte des Mathematischen Seminars 1831-1941. Phil. Fak. 239.

[2] H. Wefelscheid: Hans Zassenhaus (1912-1991). In: Mitt. Math. Ges. Hamburg, 19, 2000, S. 155–166.

[3] W. Plesken: Hans Zassenhaus 1912-1991. In: Jb. d. Dt. Math.-Verein, 96, 1994, S. 1-20.