KALENDERBLATT MAI 2017

Nach der Dritten Hochschulreform – wir waren die ersten Absolventen der Chemie

Anfang September 1969 begannen 23 Studenten ihr Fachstudium an der Universität Rostock, Sektion Chemie, Buchbinderstraße 9. Die Vorgaben gemäß der Dritten Hochschulreform sahen ein auf vier Jahre verkürztes Chemiestudium vor, um so Absolventen in ihrem künftigen Arbeitsfeld schneller als bisher einsetzen zu können. Die Forschungs- und Ausbildungsschwerpunkte der Universität sollten sich dabei mehr an den gesellschaftlichen Erfordernissen im Sinne von „Theoria cum praxi“ orientieren. Die politische Einflussnahme der Massenorganisation Freie Deutsche Jugend und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands sowohl auf die Studenten als auch auf den Lehrkörper war ein wichtiges Anliegen des Staates.

Die Ausgangssituation für ein gemeinsames Zusammenwirken in dieser neuen Lebensetappe als Studenten der ältesten Universität Nordeuropas war gut: Bis auf sechs Kommilitonen aus Rostock und Umgebung waren alle im Studentenwohnheim in der Friedrich-Engels-Straße (heute St.-Georg-Str.) nahe der Universität untergebracht. Somit konzentrierte sich das Areal, in dem unsere Ausbildungsstätten zu finden waren, zwischen der Hermannstraße (Physikalisch-chemisches Institut), dem Rosengarten (Laborbaracke für anorganisches Praktikum), dem Universitätsplatz (Sektion Physik sowie Aula der Uni) und der Buchbinderstraße mit dem chemischen Institut. Hier sorgten sieben Professoren und drei Dozenten mit Unterstützung der Assistenten für unsere wissenschaftliche Ausbildung.

Die Studien- und Stundenpläne waren bei einem maximal zehnstündigen Tagesprogramm so abgestimmt, dass nur wenig Lehrstoff gegenüber der fünfjährigen Ausbildung gestrichen wurde. Vergleiche der Studienbücher über mehrere Jahre vor und nach 1969 zeigten Streichungen von zeitintensiven Praktika (z.B. Mineralogie), demgegenüber wurden moderne apparative Methoden zur Strukturaufklärung, Vorlesungen zur Quantenchemie oder Praktika an elektronischen Rechnern neu ins Programm aufgenommen. Die meiste Zeit zugunsten des Studiums ergab sich aus der Verkürzung der Semesterferien, die wir nur noch im Sommer vier bis sechs Wochen hatten. Darüber hinaus fielen in diese Zeit eine zweimal fünfwöchige militärische Ausbildung der Studenten und ein Lehrgang in Zivilverteidigung für die Studentinnen.

Die materiell-technische Basis an der Sektion Chemie war auf Grund der sehr alten Bausubstanz und mangelnder Finanzen befriedigend. Diese Situation konnte durch Industrieverträge zur Herstellung von bioaktiven Substanzen zeitweise verbessert werden und führte darüber hinaus zur Anschaffung eines eigenen NMR-Spektrometers der Firma Tesla. Höhepunkte während der Ausbildung wie der Studentenaustausch mit der ungarischen Partner-Universität Debrecen, das Betriebspraktikum im Chemiekombinat Bitterfeld und die Bewirtschaftung des Studentenkellers schweißten ein echtes Team zusammen, das bis auf zwei Exmatrikulationen das Studium nach vier Jahren – im Sommer 1973 – erfolgreich abschloss und bis heute regelmäßig Kontakt hält, wie das Bild unseres Seminargruppentreffens zeigt.

Aus der Fortsetzung als Aspirant, Forschungsstudent oder Assistent resultierten insgesamt neun Promotionen mit dem Grad Dr. rer. nat. bzw. Kand. chim. nauk bei den beiden Absolventen der Universitäten in Leningrad und Woronesh.

Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Gerhard Zingler für die Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchsicht des Beitrages.

Jürgen French

Erstes Absolvententreffen 1998 in Rostock vor dem Chemischen Institut.

V. l. n. r. vorn: Hannelore Langer, Ingelore Apelt, Reiner Osten, Marianne Kitzig, Hellmuth Priebs, Petra Franke, Martin Kücken, Gerhard Zingler, Hans-Joachim Block

V.l.n.r. hinten: Hans-Peter Kruse, Jürgen French, Christiana Zingler, Burkhard Kaußmann, Heinrich Schwarzer, Regine Noppe

(Foto: J. French, privat).