KALENDERBLATT APRIL 2018

Eike Libbert zum Gedenken (22.04.1928-29.04.2003)

E. Libbert und Dekan G. Wildenhain gratulieren Martin Hagemann zur erfolgreichen Habilitation im Juni 1997. Heute ist sein Schüler, Prof. Martin Hagemann, sein 2. Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Pflanzenphysiologie am IfBio (Foto: privat).
E. Libbert und Dekan G. Wildenhain gratulieren Martin Hagemann zur erfolgreichen Habilitation im Juni 1997. Heute ist sein Schüler, Prof. Martin Hagemann, sein 2. Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Pflanzenphysiologie am IfBio (Foto: privat).

In diesem Frühjahr wäre mein geschätzter Lehrer, Herr Prof. Dr. rer. nat. Eike Libbert 90 Jahre alt geworden. Für über 40 Studentengenerationen war er ein prägender Lehrer mit großem pädagogischen Geschick und der Gabe, sein Auditorium mit seinem immensen Wissen über pflanzenphysiologische Zusammenhänge zu fesseln und diese verständlich zu machen. Zugleich war er vielen ein „gefürchteter“ Hochschullehrer, der sehr viel verlangte, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit zu den Grundtugenden rechnete und als strenger Prüfer konkrete Antworten auf gestellte Fragen forderte. Den Blick auf die alte Wanduhr seines Professorenzimmers geheftet, ersehnte jeder Prüfling in höchster Anspannung das Ende der Befragung. Er nutzte zu meiner Zeit zusätzlich jede Vorlesung, um das zuvor vermittelte Wissen bei uns Studenten abzufragen. Die Vorlesungen begannen mit der Aufforderung an einen Studenten, das Gelernte der letzten Stunde in drei Minuten wieder zu geben - und man war nie sicher vor dieser Aufforderung - selbst dann nicht, wenn man schon bei der vorigen Vorlesung die Zusammenfassung gegeben hatte. Das war allen klar geworden, als Prof. Libbert ein und denselben Kommilitonen in zwei aufeinander folgenden Vorlesungen dafür ausgewählt hatte.

Nach dem Schulbesuch in Ueckermünde und Abitur in Pasewalk wurde Eike Libbert mit 17 Jahren unmittelbar nach dem Krieg Junglehrer; 1948 absolvierte er seine 1. Lehrerprüfung in Ueckermünde. 1948-1952 studierte er in Greifswald und Berlin Biologie, legte bereits 1951 das Diplom ab, promovierte 1952 und habilitierte sich 1955. Seine rasche wissenschaftliche Karriere führte ihn schließlich 1959 als Professor für Pflanzenphysiologie an die Universität nach Rostock, nachdem er zuvor als Dozent und Professor mit Lehrauftrag in Berlin tätig war. Sein Vorgänger in Rostock, der Botaniker Prof. von Guttenberg bemühte sich intensiv um Eike Libbert als Nachfolger, der sich seit 1952 auf dem Gebiet der Pflanzenhormonforschung einen Namen gemacht hatte. Von Guttenberg erreichte das mit seiner charmanten österreichischen Diplomatie und Tricks (z. B. setzte er Eike Libbert an die letzte Stelle der Berufungsliste und auf die vorderen Plätze nur Bewerber, die auf keinen Fall nach Rostock kommen konnten bzw. wollten). So begann Eike Libbert seine Lehr- und Forschungstätigkeit mit der Modernisierung des Botanischen Institutes und der Einführung neuer physiologischer und biochemischer Arbeitsmethoden. Eike Libbert war als Chef unerbittlich, bekämpfte jegliche Ungenauigkeit und Nachlässigkeit, förderte durch Fordern, ließ aber jedem Mitarbeiter seine wissenschaftliche Eigenständigkeit.

Seine außerordentlich erfolgreiche Forschung auf dem Gebiet der Wachstumsregulatoren fand auf einer internationalen Tagung 1966 in Kühlungsborn ihren Höhepunkt. Kurz darauf jedoch folgte ein jähes, staatlich verordnetes Ende. Mit der Dritten Hochschulreform der SED 1968/69 kam es zum erzwungenen Abbruch der Auxinforschung, der Auflösung seiner Forschungsgruppe, dem Verlust sämtlicher Ämter und Funktionen, der Unterbindung aller internationalen Aktivitäten, dem Entzug der Lehrerlaubnis. Nach dieser Zäsur zurückgeholt und ab 1969 erneut zum Leiter des Wissenschaftsbereiches Pflanzenphysiologie und Biochemie bestellt, arbeitet Eike Libbert fortan unermüdlich als Autor und Herausgeber mehrerer Lehrbücher. Sein Hauptwerk „Lehrbuch der Pflanzenphysiologie“ erschien in fünf Auflagen sowie in russischer, polnischer und litauischer Sprache und machte Eike Libbert erneut über Deutschland hinaus bekannt.

Meine eigene wissenschaftliche Laufbahn ist durch die besondere Förderung von Eike Libbert geprägt worden. Als ich 1978 nach sieben Berufsjahren als technische Assistentin mein Studium der Biologie begann, hat er nach der Geburt meines ersten Kindes 1980 einen Sonderstudienplan zu meiner Förderung auf den Weg gebracht. Dieser ermöglichte mir im 4. und 5. Studienjahr eine vertiefende Ausbildung im Fach Pflanzenphysiologie mit einem 6-wöchigen Spezialkurs an der Humboldt-Universität zu Berlin und umfangreichem Selbststudium pflanzenphysiologischer Literatur sowie Freistellungen von anderen Lehrveranstaltungen. Dabei war es mir uneingeschränkt möglich, das spätere Familienleben mit zwei Kindern und meine wissenschaftliche Tätigkeit zu vereinbaren.

Politisch war Eike Libbert in der DDR immer wieder auffällig geworden. Schon 1956 entsprach er während der Studentenunruhen in Berlin nicht dem Auftrag des Dekans, die Lage zu beruhigen, sondern stellte sich auf die Seite der Studierenden. Als Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät widersetzte er sich dem Auftrag von einem prominenten Genossen, bei Berufungen „SED Mitglieder als gleichberechtigte Bewerber zu akzeptieren“, indem er die Berufung des aus der SED Partei ausgetretenen Genossen Erhard Geißler durchsetzte.

Als dann 1989 die Montagsdemonstrationen auch in Rostock begannen, war Eike Libbert unter den Teilnehmern. Er wollte die notwendigen Veränderungen in der Gesellschaft aktiv mit gestalten und gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Rostocker SDP, einem Vorläufer der SPD. Nachdem westdeutsche SPD-Politiker die SED als Ansprechpartner im Osten ins Gespräch brachten, verließ Eike Libbert die SDP kurz darauf wieder. Er engagierte sich nach der politischen Wende mit ganzer Kraft für die Wiedervereinigung Deutschlands. In dieser Zeit erscheinen eine Reihe von politischen Artikeln in renommierten Zeitungen und Zeitschriften. Diese zeugen von der großen Freude und Begeisterung über die deutsche Einheit, artikulieren aber gleichzeitig auch seine Sorgen über die Probleme bei der Gestaltung des Zusammenwachsens der Deutschen. Dies entspricht ganz dem kritischen Geist Eike Libberts. So schrieb er am 7.1.1993 im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Ich selbst gehöre zu den aussterbenden Narren, die 40 Jahre lang die Teilung Deutschlands betrauerten, und denen Deutschland nicht die DDR (das wäre fürchterlich), aber auch nicht die alte Bundesrepublik sein konnte. In den Jahren nach der Wende beginne ich gelegentlich ostdeutsch zu fühlen. Ich stelle das mit Erschrecken fest und will es nicht. Ich will Deutscher bleiben und bin des Glaubens, dass wir alle Deutsche sind – nicht nur das, sondern: dieselben Deutschen!“

Noch vor der Wiedervereinigung hat sich Eike Libbert um die Gründung der Ortsverbandsgruppe Rostock sowie des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern des Deutschen Hochschulverbandes sehr verdient gemacht. Als Prodekan der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften sowie als Mitglied der Überleitungskommission für Hochschullehrer des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat er auch entscheidenden Einfluss auf die personelle und strukturelle Erneuerung unserer Universität genommen.  Eike Libbert wollte das Zusammenwachsen von Ost und West vorantreiben und begann eine enge Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Prof. B. Ludwig, Abteilung Biochemie von der Medizinischen Universität zu Lübeck. Prof. Ludwigs Unterstützung bestand einerseits darin, uns in die „Spielregeln“ des bundesdeutschen Wissenschaftsbetriebes einzuweisen, andererseits erweiterte sich das molekularbiologische Methodenspektrum in der Pflanzenphysiologie so sehr schnell. In den Jahren 1993-1995 gab Eike Libbert Gastvorlesungen an der Universität Bremen, wohin er mit seiner Frau Waldtraud 1992 umgesiedelt war. Nach dem Tod seiner Frau kehrte er 1997 nach Mecklenburg-Vorpommern zurück und lebte bis zu seinem Tod in Triepkendorf bei Feldberg.

Hier kehrte er zu seinen Wurzeln zurück und kartierte auf ausgedehnten floristischen Wanderungen durch die Feldberger Seenlandschaft mit großer Begeisterung. Wir alle erwarteten in Kürze die Beschreibung einer neuen Pflanzenart, die dann vielleicht das Kürzel „liber“, „libertas“ oder auch „libbi“ (wie er im Institut liebevoll von seinen Mitarbeitern genannt wurde) hätte tragen können. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Kurz vor der von ihm mit viel Freude vorbereiteten Feier anlässlich seines 75. Geburtstages verstarb er am 29.04.2003. So bleibt mir Professor Libbert als ein geschätzter, loyaler und politisch integrer Wissenschaftler, Hochschullehrer und Mensch in Erinnerung.

Ich danke Lutz Libbert für die Gespräche und das zur Verfügung gestellte Material.

Sabine Fulda

Quellen

[1] Eintrag zu Eike Libbert im Catalogus Professorum Rostochiensium: purl.uni-rostock.de/cpr/00002206

[2] Laudatio von Norbert Erdmann zum 70. Geburtstag, 1998, privat.

[3] Gedenkrede von Günther Wildenhain vom 17.5.2003, privat.

[4] Ego Bericht von E. Libbert, 11/1994, (Rotary Bremen-Vegesack), privat.