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Zwei Jahrzehnte als Biologie-Didaktiker in Rostock (1990 bis 2010)

Mitten in der politischen Umbruchsphase kam ich im Februar 1990 nach Rostock. Ich wurde Oberassistent an der Sektion Biologie der Universität und Rektor Prof. Dr. Plötner setzte mich zum Leiter des Wissenschaftsbereichs (WB) Biologie-Methodik am 1. März ein. Ich war auf dem Weg, das biologiedidaktische Erbe meines 1988 emeritierten akademischen Lehrers Prof. Dr. Heinz-Werner Baer (1927– 2009) anzutreten. Die wissenschaftliche Reputation Baers und seiner Mitarbeiter im In- und Ausland war mir gut bekannt. Gleich nach meiner Berufung zum Hochschuldozenten am 1. September 1990 durch den Minister für Bildung und Wissenschaft der DDR Prof. Dr. Meyer erfolgte am 3. Oktober der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Gravierende Veränderungen waren zu meistern. Gemäß dem Schulreformgesetz von Mecklenburg-Vorpommern vom 26. April 1991 wurde ein dreigliedriges Schulsystem mit Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien eingeführt. Infolgedessen waren entsprechende Studiengänge in der Lehramtsausbildung an der Universität Rostock auf den Weg zu bringen. Die einphasige Lehrerausbildung wurde nun zweiphasig. Die universitäre Phase schließt mit dem Ersten Staatsexamen ab, das Referendariat wird mit dem Zweiten Staatsexamen beendet. Die Lehrerausbildungsverordnung (LAVO) für Mecklenburg-Vorpommern vom 9. Juli 1991 legt die Semesterwochenstundenzahl (SWS) für das jeweilige Lehramt (LA) fest, z. B.:

LA an Grund- u. Hauptschulen: Biologie – 30 SWS | Biologiedidaktik – 8 SWS
LA an Haupt- u. Realschulen: Biologie – 40 SWS | Biologiedidaktik – 9 SWS
LA an Gymnasien: Biologie – 70 SWS | Biologiedidaktik – 10 SWS

Studieninhalte, Studienstruktur und Prüfungsanforderungen wurden mit der Lehrerprüfungsverordnung für Mecklenburg-Vorpommern vom 26. April 1993 vorgegeben. Am Ende des Sommersemesters 1993 fanden Erste Staatsprüfungen erstmalig unter Teilnahme des Lehrerprüfungsamtes statt. Parallel zum Strukturwandel in der Lehrerausbildung vollzog sich die Erneuerung der Hochschulen Mecklenburg-Vorpommerns. Ein Ehrenverfahren war zu absolvieren. Nach der Zertifikation „Kein Fehlverhalten“ folgte für mich die fachliche Evaluation von Dissertation und Habilitationsschrift. Wer die Gutachter waren, ist mir bis heute nicht bekannt; aber ich bin ihnen dankbar, da ihre positive Einschätzung die Voraussetzung für meine Überleitung zum Professor im Sinne des Paragraphen 44 des Hochschulrahmengesetzes (HRG-Professor) darstellte. Kultusministerin Steffi Schnoor war es, die mich im Juni 1992 in die „mitgliedschaftsrechtliche Stellung eines HRG-Professors“ überleitete. Als Angleichung an die bundesdeutschen Strukturen hatte mir die Universitätsleitung die Umwidmung der Abteilung Biologie-Methodik in Biologie-Didaktik genehmigt. Mitte 1992 wurden die Stellen für die neue Personalstruktur der Universität ausgeschrieben. Der Biologie-Didaktik sollte künftig eine C3-Professur zugeordnet werden. Als aussichtsreicher Kandidat bewarb ich mich um diese Stelle – übernommen wurde ich als „Dozent bisherigen Rechts“. Als C3-Professor für Didaktik der Biologie wurde der Tierphysiologe/Verhaltensbiologe Prof. Dr. Karl Meißner von der Pädagogischen Hochschule Güstrow eingesetzt; diese war 1991 aufgelöst und in die Universität Rostock integriert worden. Der neue Leiter nahm im Sommersemester 1993 seine Tätigkeit in der Biologie-Didaktik auf. Ab dem Wintersemester 1992/1993 und auch danach gab es durch das Ausscheiden von Mitarbeitenden personale Veränderungen. Von der PH Güstrow kam auch der ehemalige Lehrstuhlinhaber für Biologie-Methodik Prof. Dr. Erwin Zabel nach Rostock und wirkte hier bis zu seiner Emeritierung 1993.

Gemeinsam mit Frau Prof. Dr. Edda Siegl erarbeitete ich nach den in der LAVO M-V von 1991 festgelegten Rahmenbedingungen neue Studienstrukturen, Studienpläne und Studienordnungen für die Studiengänge Biologie Diplom und Biologie alle Lehrämter. Vieles war nun veränderbar. Da ich das Ziel verfolgte, die Biologie-Didaktik zu stärken, ihre Wertigkeit für das Lehramtsstudium zu betonen und ihre Eigenständigkeit sichtbarer zu machen, verlegte ich den Beginn der biologiedidaktischen Lehrveranstaltungen in den Studienplänen aus dem Hauptstudium in das Grundstudium. Die Idee war: Lehramtsstudierende sollen sich schon im Grundstudium als „Lehrer“ begreifen und positionieren. Sie sollen die Biologie unter didaktischen Gesichtspunkten in ihrem Wissenssystem konstruieren und dadurch ihre Lehrfähigkeiten stärken. Damit wird augenfälliger, dass ihr Ausbildungsziel darin besteht, Lernenden in unterrichtlichen Prozessen Biologie nahezubringen, Kompetenzen entwickeln zu helfen und Persönlichkeiten zu entfalten.

Mein Eingebundensein als Biologie-Didaktiker in die universitäre Selbstverwaltung vollzog sich in mehreren Phasen. Eine erste begann mit meiner Mitarbeit bei der Evaluation des Fachbereichs Biologie 1994/1995. Meines Wissens war dies die erste Evaluation eines Fachbereichs an der Universität Rostock. Eine zweite Phase dauerte von 1994 bis 2004. In diesem Zeitraum hatte ich die Funktion des Verantwortlichen für Studium und Lehre inne und war gewählter Vorsitzender des Prüfungsausschusses Biologie. Gemeinsam mit Frau Inge Klaus, Leiterin des Studienbüros Biologie, haben wir so manchen „Bummelanten“ aufgespürt und ein großzügiges Überschreiten der Regelstudienzeit von 10 Semestern abgewendet. Mein Eingebundensein in das wissenschaftliche Leben der Universität und in die scientific community realisierte sich durch die fachdidaktische Forschung. Ökologie, Umweltbildung und Formenkunde unter systematischer, allgemeinbiologischer und ästhetischer Sicht standen hier im Zentrum. Schon in meiner Berliner Zeit hatte ich Überlegungen zu Konsequenzen aus der Systematik und Taxonomie für die schulische biologische Bildung der Heranwachsenden angestellt. Mein Fazit war: Auch wenn die moderne Biologie mit ihrer zellulären und molekularen Ausrichtung dominiert und teilweise Systematik und Taxonomie als nur beschreibende und veraltete Disziplinen abgetan wurden, so ist die Formen- und Artenkenntnis in der schulischen Bildung für die sich seit Anfang der 1980er-Jahre etablierende Umweltbildung unverzichtbar. Vielzitierter Leitgedanke noch heute: Nur was ich kenne, kann ich lieben und nur was ich liebe, bin ich bereit zu schützen! Die Arbeiten zum ganzheitlichen vernetzten Denken (Sprenger 1994), zur Ästhetik des Lebendigen am Gegenstand der Formenkunde und zum lebenden Tier im Schülerurteil (Retzlaff-Fürst 2001, 2008), Schülervorstellungen über Konzepte zur Nachhaltigkeit (Holthusen 2004) sowie zahlreiche Staatsexamensarbeiten und Masterarbeiten sind Ergebnisse dieser Forschungsrichtung. Diese finden auch Eingang in die Rahmenpläne Biologie aller Schultypen in Mecklenburg-Vorpommern und prägen Schullehrbücher für Biologie Jahrgänge 5 bis 10 im DUDEN PAETEC-Verlag, später im Cornelsen Verlag, mit. Aber auch meine enge Zusammenarbeit mit PD Dr. Lepel und Wolfgang Krahn von der Universität Greifswald und mit Studienleitern Biologie am Landesinstitut für Schule und Ausbildung M-V (L.I.S.A.) wie Marlies Müller zielte auf die Verbesserung und Weiterentwicklung des Biologieunterrichts ab. Gemeinsame Tagungen wurden von Studierenden und Lehrkräften sehr gern besucht. Mein Eingebundensein in die scientific community realisierte sich vorwiegend über den Verband Deutscher Biologen (vdbiol), später Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO), dessen Landesverband Mecklenburg-Vorpommern ich von 1994 bis 2008 leitete. Ein Höhepunkt war z. B. die Vierte Frühjahrsschule (März 2002), eine mehrtägige Veranstaltung für Doktoranden zur Biologie-Didaktik in Deutschland. Gemeinsam mit Carolin Retzlaff-Fürst führte ich diese Veranstaltung in Warnemünde durch. Alle Vorträge wurden erstmals gedruckt und seitdem haben die jungen Wissenschaftler jährlich mit den Protokollbänden ein neues Medium zur Präsentation ihrer Forschungen; Protokollbände zur Frühjahrsschule werden bis heute verlegt. Ausdruck fand mein Eingebundensein auch in der Eigenschaft als Mitautor am führenden Hochschullehrbuch Fachdidaktik Biologie (Eschenhagen, Kattmann, Rodi, 1998).

Prof. Dr. Karl Meißner ging 2002 in den Ruhestand. Nachfolgend wurde ich 2002 zum Leiter eingesetzt. Die Biologie-Didaktik siedelte 2004 von der Wismarschen Straße 8 in das rekonstruierte Gebäude am Universitätsplatz 4 um, wo sie sich noch heute befindet. 2006 erreichte mich die Anfrage von Frau Dr. Kerstin Kosche vom Zentrum für Qualitätssicherung in Studium und Weiterbildung der Universität um Mitwirkung als Dozent im Fernstudiengang Umwelt und Bildung. Die Lehrveranstaltung Grundlagen der Didaktik, das Arbeiten mit akademisch ausgebildeten Erwachsenen und die wissenschaftliche Betreuung von Masterarbeiten erwies sich für mich und für meine Direktstudierenden als sehr gewinnbringend. Von 2008 bis 2010 wurde ich vom Rektor der Universität Prof. Dr. Schareck zum Vertretungsprofessor (W2) für Biologie-Didaktik eingesetzt. Ich danke den Kollegen des Instituts für die über zwei Jahrzehnte währende Zusammenarbeit.

Frank Horn

Frank Horn beim Auswerten studentischer Ideen zur Vitrinen-Gestaltung in der biologiedidaktischen Mediensammlung am Universitätsplatz 4 (Foto: privat, 2010).
Frank Horn beim Auswerten studentischer Ideen zur Vitrinen-Gestaltung in der biologiedidaktischen Mediensammlung am Universitätsplatz 4 (Foto: privat, 2010).

Quellen:

[1] Erstes Schulreformgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 26. April 1991.

[2] Verordnung über die Ausbildung von Lehrern für die öffentlichen Schulen des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Lehrerausbildungsverordnung – LAVO – vom 9. Juli 1991.

[3] D. Eschenhagen, U. Kattmann, D. Rodi: Fachdidaktik Biologie. 4.Auflage, Aulis-Verlag Deubner, Köln, 1998. (F. Horn: Autor der Abschnitte Protokollieren, Zeichnen, Mathematisieren, Biologiesammlung, Biologiefachräume).

[4] K. Holthusen: Konzepte zur Nachhaltigkeit: Analyse von Schülervorstellungen zum Thema Nachhaltigkeit am Beispiel Wald durch Zeichnen im Biologieunterricht. Verlag Dr.Kovač, Hamburg, 2004.

[5] C. Retzlaff-Fürst: Die Ästhetik des Lebendigen: Analysen und Vorschläge zum Biologieunterricht am Gegenstand der Formenkunde. Weißensee-Verlag, Berlin, 2001.

[6] C. Retzlaff-Fürst: Das lebende Tier im Schülerurteil. Bodenlebewesen im Biologieunterricht – eine empirische Studie. Verlag Dr. Kovač, Hamburg, 2008.

[7] J. Sprenger: Entwicklung eines Konzepts der didaktischen Rekonstruktion unter dem Aspekt der Förderung eines „ganzheitlichen und vernetzten Denkens“ – Anwendung und Erprobung am Beispiel des Themas „Ostsee“ für den Leistungskurs Ökologie der gymnasialen Oberstufe. Dissertation, Universität Rostock, 1994.