KALENDERBLATT JUNI 2019

Wohnadressen Rostocker Physiker 1906 – 1945

Prof. Dieter Bauer, Leiter der Arbeitsgruppe Quantentheorie und Vielteilchensysteme, fragt einmal während einer Kaffeepause, wo wohl die berühmten Professoren der Theoretischen Physik, beginnend bei Conrad Dieterici über Otto Stern bis Pascal Jordan, in Rostock gewohnt haben. Antworten auf diese Frage liefern die Rostocker Adressbücher. Aber auch die auf RosDok vorhandenen digitalisierten Personalverzeichnisse der Universität Rostock verraten die Privatanschriften der gesuchten Personen. Wir ermitteln unter Benutzung von Quelle [1] folgende Angaben (Wiedergabe aus [1] in Originalschreibweise kursiv):

SS 1906: Dieterici, Dr. (Physik), Kaiser Wilhelmstr.       (1)
Prof. Conrad Dieterici ist nur kurze Zeit in Rostock, wohnt in der Kaiser-Wilhelm-Straße Nr. 3 (heute Rosa-Luxemburg-Straße 3) in der Steintor-Vorstadt. Laut Rostocker Adressbuch 1907 eine Villa mit Telefonanschluss.

Die Kaiser-Wilhelm-Straße um 1900 als Villenallee mit Blick auf den Bahnhof. Links das erste Gebäude mit dem Türmchen ist die Nr. 3; davor ist die Graf-Schack-Straße zu erkennen. (Foto: Archiv Thomas Werner [2]).
Die Kaiser-Wilhelm-Straße um 1900 als Villenallee mit Blick auf den Bahnhof. Links das erste Gebäude mit dem Türmchen ist die Nr. 3; davor ist die Graf-Schack-Straße zu erkennen. (Foto: Archiv Thomas Werner [2]).

WS 1907: Weber, Dr. (angewandte Mathematik), Alexandrinenstr.     (2)
Außerordentlicher Professor Rudolf Heinrich Weber (KB 02/2013) lehrt von 1907 bis 1920 an der Universität Rostock. Die Alexandrinenstraße Nr. 14 ist in der heutigen Blücherstraße nahe der Ecke Ferdinandstraße zu suchen.

WS 1920: Dr. Lenz (theoret. Physik), Kaiser Wilhelmstr. 3     (1)
Die Grundstücke für die Kaiser-Wilhelm-Straße 3 –10 (heute Rosa-Luxemburg-Straße) werden 1894 gebildet. Initiator ist Maurermeister Carl Heinig mit dem Ziel, dort elegante Villen zu erbauen. Die bereits erwähnte Nr. 3, dort wohnt ao. Prof. Wilhelm Lenz (KB 06/2013) ca. ein Jahr, ist den älteren Rostockern noch als Haus der Pioniere bekannt [2].

WS 1921: Dr. Stern (theoret. Physik), Augustenstr. 126     (3)
Ebenso wie Wilhelm Lenz verläßt ao. Prof. Otto Stern (KB 02/2012) Rostock nach kurzer Zeit in Richtung Hamburg. Seine Wohnung in der Steintor-Vorstadt nahe den Theater-Garagen, in der dreigeschossigen Augustenstraße 126, gibt Otto Stern im Januar 1923 auf. Er muss 4/5 seiner Umzugskosten, die ihm für den Umzug im Oktober 1921 von Frankfurt nach Rostock erstattet wurden, an die Universität Rostock zurückzahlen.

Das Wohnhaus Augustenstraße 126 hat eine interessante Geschichte, die eng mit Konditorei und Café Drude, seit Jahrzehnten im Eckhaus Augustenstr. 1 schräg gegenüber ansässig, verknüpft ist. Auch heute ist dort eine Bäckerei zu finden, ebenso die Zahnarztpraxis Dr. Clemens Drude, dessen Famile jetzt in der Nr. 126 wohnt.

Das Doppelhaus Augustenstr. 126/127 in der Steintor-Vorstadt nahe dem damaligen Stadttheater (jetzt Gebäude der Ostsee-Zeitung). Der Neubau Nr. 126 (links, Anschrift von Otto Stern) ist nach Kriegszerstörungen von Ernst Drude 1958 zweietagig errichtet worden, daneben die dreigeschossig erhalten gebliebene Nr. 127     (Foto: R. Mahnke).
Das Doppelhaus Augustenstr. 126/127 in der Steintor-Vorstadt nahe dem damaligen Stadttheater (jetzt Gebäude der Ostsee-Zeitung). Der Neubau Nr. 126 (links, Anschrift von Otto Stern) ist nach Kriegszerstörungen von Ernst Drude 1958 zweietagig errichtet worden, daneben die dreigeschossig erhalten gebliebene Nr. 127 (Foto: R. Mahnke).

WS 1923: Schottky, Dr., Johannisplatz 3     (4)
Der nur aus wenigen Häusern bestehende Johannisplatz, Wohnadresse von Prof.Walter Schottky, nahe der Steinstraße gelegen, ist im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs untergegangen.

SS 1928: Hund, Friedrich, Dr. ao. P., Lindenbergstr. 1     (5)
Die Adresse von Prof. Friedrich Hund ist eine Villa in Bahnhofsnähe.

SS 1930: Jordan, Pascual, pl. ao. P., Hermannstr. 22     (6)
WS 1935: Jordan, Pascual, Dr., Theoretische Physik, Schillerstr. 18     (7)
SS 1941: Jordan, Pascual, Dr. phil., Graf-Schack-Str. 5     (8)
Alle Anschriften von Prof.Pascual Jordan [3] befinden sich in der Steintor-Vorstadt und sind ebenfalls im Stadtplan markiert. Seit WS 1941/42 wird die Theoretische Physik in Rostock vertreten von Juilfs, Johannes, Dr. phil., Berlin-Lankwitz, Leonorenstraße 26.
Wir stellen fest, dass alle genannten Universitätsprofessoren der Theoretischen Physik im herrschaftlichen Villenviertel Rostocks, der Steintor-Vorstadt, wohnen. Der Rostocker Historiker Jan-Peter Schulze hat sich intensiv mit dem Rostocker Bahnhofsviertel beschäftigt [4]. An der Planlegung der Steintor-Vorstadt 1887 ist maßgeblich Städtebauer Reinhard Burmeister beteiligt, wobei diese Stadterweiterung bereits die Sozialstruktur, Wohnungspolitik und Hygiene berücksichtigt. Für die wohlhabenden Bürger und Akademiker ist diese Vorstadt, deren Ausbau bis 1914 andauert, die standesgemäße Wohnadresse. Sie wohnen unweit vom alten Stadtzentrum in einer geplanten Stadterweiterung mit neuer Infrastruktur in modernen Häusern [2, 4].

Diese Aussage bleibt auch gültig für die Professoren der Experimentalphysik.

SS 1908: Heydweiller, Dr. (Physik), Kaiser Wilhelmstr. 2     (9)
Die Wohnanschrift Kaiser-Wilhelm-Str. 2, unmittelbar an der Ecke Graf-Schack-Straße gelegen, gehört ebenso wie die Nr. 3 (siehe Dieterici und Lenz) zu einer herrschaftlichen Villa. Leider übersteht dieses Gebäude nicht den Zweiten Weltkrieg. Die Freifläche, zu DDR-Zeiten ein Parkplatz, ist erst jetzt wieder bebaut; die Anschrift lautet heute Rosa-Luxemburg-Str. 2.

Die Wiederbesetzung der Experimentalphysik-Professur zum 01.10.1921 als Nachfolge von Prof.Adolf Heydweiller gestaltet sich schwierig. Erst zum 1. April 1922 wird der Zweite der Berufungsliste, Christian Füchtbauer, zum ordentlichen Professor für Experimentalphysik bestellt. Im Sommersemester 1922 steht Füchtbauers Name noch nicht im Vorlesungsverzeichnis, sondern Dr. Stern, Physikalisches Seminar gemeinsam mit Prof.N.N. Als Anschrift von Füchtbauer wird Physikalisches Institut angegeben. Ab Wintersemester 1928/29 erscheint dann die Privatadresse St. Georgstr. 17.

Im Jahr 1935 nimmt Füchtbauer einen Ruf an die Universität München an, sodass über die Wiederbesetzung des Lehrstuhls für Experimentalphysik an der Universität Rostock entschieden werden muss. Auf dem ersten Platz der Berufungsliste steht der Rostocker ao. Prof.Paul Kunze, der zum 01.04.1936 offiziell als ordentlicher Professor berufen wird, zuvor aber schon die Institutsleitung innehat. Die beiden Wohnadressen lauten:

SS 1935: Füchtbauer, Ch., Dr., Experimentalphysik, St. Georgstr. 17     (10)

SS 1935: Kunze, Paul, Dr., Physik, Stephanstr. 15     (11)

Ausschnitt eines Stadtplans von 1939 aus dem Geoportal der Hanse- und Universitätsstadt Rostock, https://www.geoport-hro.de/desktop
Ausschnitt eines Stadtplans von 1939 aus dem Geoportal der Hanse- und Universitätsstadt Rostock, https://www.geoport-hro.de/desktop

Reinhard Mahnke

Quelle:


[1]   Übersicht der Personal- und Vorlesungsverzeichnisse der Universität Rostock:
        http://rosdok.uni-rostock.de/data/Preview-PuV/
[2]   Detaillierte Texte und Postkarten von Thomas Werner zur Kaiser-Wilhelm-Straße:
        http://werner0304.alfahosting.org/wordpress/?page_id=2
[3]   D. Hoffmann: Pascual Jordan (1902-1980) – Der gute Nazi. In: G. Boeck, H.-U. Lammel (Hrsg.):
        Die Universität Rostock in den Jahren 1933 – 1945. Rostock, 2012, S. 131 – 161.
[4]   J.-P. Schulze: Der Städtebauer Reinhard Burmeister in Theorie und Praxis. Rostock
        und Mannheim. Neue Wohnungen schaffen und den Verkehr erleichtern . . .,
        Altstadt Verlag, Rostock, 2001.