KALENDERBLATT MAI 2019

Günther Rienäcker – Chemiker, Wissenschaftsorganisator, Musiker und vieles mehr

Rienäcker, in Bremen geboren, studierte nach dem Schulabschluss von 1922 bis 1926 an der Ludwig-Maximilians-Universität München Chemie. Unter dem Vorsitz von Richard Willstätter (1872 –1942) legte er 1924/1925 sein chemisches Verbandsexamen ab, im Oktober 1926 erlangte er mit seiner angefertigten Dissertation Neue potentiometrische Titrationsmethoden zur Bestimmung von Schwermetallen den Dr. phil. Danach war er von 1926 bis 1928 Assistent am Physikalisch-chemischen Institut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg bei George de Hevesy (1885 –1966), der die Beschäftigung mit Katalysatoren anregte. Dann wechselte er als Unterrichtsassistent an das dortige Chemische Laboratorium und arbeite bis 1936 bei Hermann Staudinger (1881 –1965) und Werner Fischer (1902 – 2001). Mit der Arbeit Der Zerfall des Ameisensäuredampfes an Kupfer-Gold und Silber-Gold-Legierungen habilitierte er sich 1935. Nach einer Dozentur in Freiburg und einer außerordentlichen Professur in Göttingen nahm Rienäcker ab November 1942 an der Universität Rostock den Lehrstuhl für Anorganische Chemie wahr, am 1. Februar 1943 wurde er ordentlicher Professor. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Günther Rienäcker Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Rostock und Ende 1945 zum Rektor gewählt. Sein Amt trat er zum 12. Januar 1946 an, das er bis 1948 innehatte. In diese Zeit fielen die Maßnahmen zur Entnazifizierung des Lehrkörpers. Er legte mehrfach Widerspruch gegen die Bereinigung des wissenschaftlichen Apparats ein, um die Arbeitsfähigkeit der Universität zu erhalten. Unter den Hochschullehrern und Studenten besaß er schon zu jener Zeit sehr hohes Ansehen. Aufgrund der hohen Wertschätzung seiner Person auch durch Staat und Partei konnte er sich gegen ihm unsinnig erscheinende Regelungen (z. B. bei der Zulassung zum Studium) deutlich aussprechen, das jedoch leise und diplomatisch ohne Eklat und Konflikt.

Im September 1951 wurde Günther Rienäcker Dekan der neu gegründeten Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Rostock. Gemeinsam mit Wolfgang Langenbeck (1899 –1967) gründete er 1951 in Rostock das Institut für Katalyseforschung, das 1952 eröffnet wurde. Am 1. Januar 1954 ging das Institut an die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAW).

Zu diesem Zeitpunkt wechselte Rienäcker als Professor für Anorganische Chemie an die Humboldt-Universität zu Berlin, betreute aber parallel die Anorganische Katalyse in Rostock. Das Rostocker Katalyseinstitut wurde zum 1. Oktober 1959 geteilt: Das Institut für Anorganische Katalyseforschung zog nach Berlin und erhielt 1961 in Berlin-Adlershof einen Neubau, der Bereich der Organischen Katalyse verblieb in Rostock.

1953 war Rienäcker ordentliches Mitglied der DAW geworden. Von 1957 bis 1968 war er deren Generalsekretär. Damit wirkte er als Geschäftsführer des Präsidiums und des Plenums sowie als staatlicher Leiter der rund 5000 Mitglieder der Akademie. Fünf Jahre lang versuchte er, neben dieser Tätigkeit auch das Berliner I. Chemische Institut zu leiten. Gesundheitliche Probleme bewogen ihn dann, die Leitung des Instituts abzugeben, er legte aber weiterhin großen Wert auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Akademie und Universität.

Im Hinblick auf die Forschungsarbeiten von Günther Rienäcker bestimmten anfangs analytische Untersuchungen sein Schaffen. Diese Richtung hat er später auch nicht vollständig aus den Augen verloren. Der Schwerpunkt lag jedoch auf dem Gebiet der Darstellung und Aufklärung der Wirkungsweise von Katalysatoren der heterogenen Katalyse.

Von oder nach Heinz Bade hergestellte Probe von geätztem und geglühtem Nickel (Foto: U. Bentrup).
Von oder nach Heinz Bade hergestellte Probe von geätztem und geglühtem Nickel (Foto: U. Bentrup).

Etwa 150 Publikationen entstammen der Feder von Günther Rienäcker. Ab 1947 übernahm er die Herausgeberschaft für die Zeitschrift für anorganische und allgemeine Chemie und war bis zu seinem Tod deren Chefredakteur. Günther Rienäcker wurden zahlreiche Ehrungen zuteil, im Zusammenhang mit Rostock sei hier hervorgehoben, dass er 1961 Ehrensenator und 1969 Ehrendoktor wurde. 1969 hatte er auch die Ehrennadel der Universität Rostock erhalten.

Günther Rienäcker war außerordentlich musikalisch und betrieb Musik quasi an der Grenze zur Professionalität. Ursprünglich hatte er tatsächlich erwogen, Musik zu studieren. Er spielte mehrere Instrumente: Klavier, Flöte, Oboe, Cembalo und Orgel. In Freiburg, Göttingen und Rostock spielte er im Collegium musicum. In Rostock leitete er es sogar zeitweilig. Auch in Berlin beteiligte sich Günther Rienäcker an dem Kreis Chemiker musizieren.

 

Günther Rienäcker (1. Reihe, zweiter von links) blieb der Rostocker Chemie verbunden und nahm 1984 an den Feierlichkeiten zur 150. Wiederkehr der Eröffnung des ersten Chemischen Universitätslaboratoriums in Rostock teil (Foto: HFBS).
Günther Rienäcker (1. Reihe, zweiter von links) blieb der Rostocker Chemie verbunden und nahm 1984 an den Feierlichkeiten zur 150. Wiederkehr der Eröffnung des ersten Chemischen Universitätslaboratoriums in Rostock teil (Foto: HFBS).

Ein Weggefährte erinnert sich

Der Orden "Zum roten Löwen" (Foto: K. Junge).
Der Orden "Zum roten Löwen" (Foto: K. Junge).

An verschiedene Traditionen, die Günther Rienäcker eingeführt hat, erinnert sich sein Schüler Joachim Völter, der in Rostock bei ihm studiert hatte und ihm dann nach Berlin gefolgt war. Er berichtete, dass Rienäckers Mitarbeiter in Göttingen einen Orden zur ruhigen Kugel gestiftet und dem Orden ein entsprechendes Ordenszeichen gebastelt hätten. Dieses bestand aus zwei kleinen gekreuzten Spateln, die sich auf einer Kugel befanden, die wiederum an einem Halsband hing. In diesen Orden wurden von Rienäcker bei seinen jährlichen Festen für seine Mitarbeiter all jene aufgenommen, die in dem Jahr das Abschlussexamen bei ihm gemacht hatten. Dabei wurde jedem der Reihe nach der Orden einmal umgehängt. Diesen Brauch setzte Rienäcker auch in Rostock fort. Leider ging der Orden beim Umzug nach Berlin verloren.

Für die seit 1968 stattfindenden jährlichen Treffen der Katalytiker wurde die „Ordenstradition“ wiederbelebt. Doch ein neues Logo musste her. Joachim Völter berichtete, dass aufgrund gewisser Hinweise darauf, dass es schon im alten Ägypten katalysatorähnliche Stoffe gegeben haben soll, Günther Rienäcker zu einem Ägyptologen ging und nach einer entsprechenden Hieroglyphe fragte. Diese gab es nicht, der Ägyptologe machte aber darauf aufmerksam, dass die Alchemisten in ihrer Symbolik häufig einen roten Löwen benutzt hatten. Daraus entstand dann der neue Orden Zum roten Löwen.

Günther Rienäcker feierte gern (Foto: H. Feldmeier).
Günther Rienäcker feierte gern (Foto: H. Feldmeier).

Auch die Tradition einer Faschingsfeier hatte Günther Rienäcker aus seinem ehemaligen Institut in Göttingen mitgebracht, er war stets unter den fröhlich Feiernden. So saß er einmal in Lumpen gekleidet vor der Bibliothek und spielte auf einer Geige, bei der eine Saite gerissen war. Vor ihm stand zum Sammeln von Trinkgeld eine Blechbüchse.
Später sollte sich der Chemikerfasching Fauler Zauber in Berlin zu einem riesigen Spektakel entwickeln. Von Anfang an begann diese Feier mit einer Festsitzung im großen Hörsaal, dem Emil-Fischer-Hörsaal. Dabei
wurde ein buntes Programm geboten. Der große Experimentiertisch diente als Podium. Ein Höhepunkt waren die Sketche, bei denen Rienäcker persönlich mitwirkte.

Ich danke Senta und Joachim Völter für die Informationen.

Gisela Boeck

Quelle:

[1] Eintrag zu Günther Rienäcker im Catalogus Professorum Rostochiensium: purl.uni-rostock.de/cpr/00002183
[2] H. U. Kibbel: Zum Wirken des Chemikers Günther Rienäcker an der Universität Rostock (1942 –1953). In: Beiträge zur Geschichte der Universität Rostock 13, 1989, S. 43 – 48.
[3] G. Öhlmann: Günther Rienäcker. Laudatio zu seinem 100.Geburtstag. In: Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät 68, 2004, S. 152 –160.
Eine ausführliche Literaturliste kann bei der Autorin angefordert werden.