KALENDERBLATT OKTOBER 2018

Bereits 1834 errichten der ordentliche Professor für Physik und Mineralogie Franz Ernst Neumann (1798 – 1895) und der Mathematiker Carl Gustav Jacobi (1804 – 1851) in Königsberg das erste Mathematisch-Physikalische Seminar, bei dem Studenten experimentelle und theoretische Aufgaben eigenständig unter Anleitung durch die Professoren lösen müssen. Diese damals neue Unterrichtsform wird an der Landesuniversität Rostock erst 45 Jahre später eingeführt.

Zum Wintersemester 1878/79 tritt der Professor für Mathematik und Astronomie Johann Martin Krause, als Student am o. g. Königsberger Seminar geprägt, seinen Dienst in Rostock an. Das erste schriftliche Zeugnis über das Rostocker Mathematisch-Physikalische Seminar datiert vom 7. Dezember 1878. Prof. Ludwig Matthiessen fertigt einen handschriftlichen Entwurf über die Gründung und die Statuten des Seminars an, der von ihm als Professor der Physik und von Prof. Martin Krause unterschrieben ist [1]. Dieser Entwurf geht an das Unterrichtsministerium nach Schwerin.

Am 27. Februar 1879 beurkundet Friedrich Franz II. (1823 –1883) mit Unserer Höchsteigentlichen Unterschrift und beigedrucktem Großherzoglichen Insiegel seine Entscheidung, ein mathematisch-physikalisches Seminarium an Unserer Universität zu Rostock zu errichten und die hierneben angehefteten Statuten für diese Anstalt genehmigt und bestätigt haben. Das Seminar soll zu dem bevorstehenden Sommer-Semester ins Leben treten (siehe dazu den Text der abgebildeten Original-Urkunde sowie die einfacher lesbare Druckschrift als Digitalisat [2]).

Die Statuten des Mathematisch-Physikalischen Seminars bestehen aus sechs Paragraphen.

§ 1 regelt die Ziele, die Themenstellung, aber auch Fragen der Leitung. Zu Letzterem heißt es: Die besondere Einrichtung und Anordnung der seminaristischen Übungen ist den Directoren überlassen.

§ 2 legt fest: Mitglieder des Seminars können werden die Studirenden der Mathematik und Physik an der Universität.

§ 3 sieht die Möglichkeit einer Prämierung von sechs Teilnehmern mit je 50 Mark pro Semester vor,

§ 4 die Beschaffung von Hülfsmitteln wie Bücher, Modelle und Karten für jährlich 300 Mark.

§ 5 regelt die Prämienvorschläge und den Jahresbericht an das Ministerium in Schwerin,

§ 6 den Beginn des Seminarbetriebes: Die gegenwärtigen Statuten treten mit Ostern 1879 in Wirksamkeit.

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Urkunde über die Einrichtung des mathematisch-physikalisches Seminariums (Digitalisat: UAR [1]).

In [1] sind alle Prämienvorschläge und Jahresberichte enthalten, wobei in der Regel die beiden Direktoren Prof. Matthiessen und Prof. Krause (ab 1889 Prof. Otto Staude) eigenständig wirken und jährlich über die Hälfte des Jahresetats von 900 Mark verfügen. Schauen wir exemplarisch auf das Studienjahr 1880/81. Laut § 5 der Statuten haben beide Direktoren ihre Berichte einzureichen. Am 15.10.1881 schreibt Prof. Matthiessen über Fortgang und Wirksamkeit des physikalischen Seminars wie folgt [1]:

„. . . wird hierdurch gehorsamst unterbreitet, dass a) im ersten Semester des Verwaltungsjahres 1880/81 vier Mitglieder an der Übungen des Seminars theilgenommen haben, nämlich Adolf Klingberg aus Rostock, inscribirt Mich. 1876 (eingeschrieben am 29.09.1876), Karl Stier aus Schwerin (1877), Otto Kuntze aus Güstrow (1875), Paul Blunk aus Brunshaupten (1880). Die Übungen fanden wöchentlich in je 2 Stunden statt. Es wurden Themata zu schriftlichen Arbeiten aus verschiedenen Gebieten der mathematischen Physik gestellt. Vorzugsweise wurden freie Vorträge verschiedene Novitäten in Zeitschriften sowie über Gegenstände der Experimentalphysik von den Mitgliedern gehalten [. . .]. Am Ende des ersten Semesters sind zur Prämierung mit je 50 Mark empfohlen Klingberg, Stier und Kuntze, was in Gemäsheit der Hohen Resulation vom 24. März 1881 genehmigt worden ist. b) Im Sommersemester 1881 ist wegen Mangel Geübter das Seminar nicht zu Stande gekommen. Die Rechnungsablage für die Lehrmittel des Seminars belief sich laut Liquidation am 1. Juli 1881 auf 95,90 M, so dass die Kasse der physikalischen Abtheilung des Seminars einen Überschuss von rund 200 M aufgewiesen hat.“

Die umfangreichen Akten [1, 3] enthalten semesterweise Prämienvorschläge mit unterschiedlich vielen Studentennamen. So berichtet Prof. Otto Staude, Direktor des mathematischen (Teil-)Seminars, im August 1889 u. a. über die Art der Übungen als Anschluss an die Vorlesung Über Anwendung der Differential- und Integralrechnung auf Geometrie sowie über den Antrag vom 8. August 1889 auf finanzielle Unterstützung für Gustav Mie aus Rostock.

Schön wäre es, detailliert die Entwicklungswege der prämierten Seminarteilnehmer zu verfolgen. Bekannt ist z. B. von Adolf Klingberg (1855 – 1934), dass er ein vielseitiger Gymnasiallehrer an der Domschule zu Güstrow wird [4], während Gustav Mie (1868 –1957) als Professor für Theoretische Physik an der Universität Greifswald 1908 die Mie-Streutheorie publiziert [5].

Im Ergebnis des Ersten Weltkriegs kommt das Seminar zum Erliegen. Letztmalig stellt Prof. Otto Staude 1920, zusammen mit Prof. Otto Haupt (KB 11/2013), einen Antrag für drei Prämien [3]. Eine Antwort aus Schwerin bleibt aus. Doch gehen wir jetzt ins Jahr 1979.

Auf Initiative vom Prof. Wolfgang Engel (Direktor der Sektion Mathematik) und Prof. Heinz Ulbricht (Direktor der Sektion Physik) wird, bei langfristiger Planung in Verbindung mit dem Mathe-Fasching im Studentenwohnheim Friedrich-Engels-Straße, zu einem Festkolloquium anlässlich des 100. Gründungsjubiläums des Mathematisch-Physikalischen Seminars am 23.02.1979 eingeladen. Wegen winterlicher Witterungsunbilden muss die Veranstaltung kurzfristig verlegt werden, und zwar auf den 20. April 1979. In der gut besuchten Aula im Universitätshauptgebäude eröffnet Rektor Prof. Wolfgang Brauer das Festkolloquium. Es folgen Beiträge zur Entwicklung der Mathematik und Physik nach 1949 in Rostock. In der Mittagspause kann die Werkstatt der Physik am Universitätsplatz 3 besichtigt werden. Am Nachmittag stehen Fachvorträge von Prof. Lothar Berg (Numerische Stabilität) und Prof. Günter Kelbg (Physik flüssiger Phasen) auf dem Programm.

Einladung zur langfristig geplanten 100-Jahr-Feier des Mathematisch-Physikalischen Seminars am 23.02.1979
Einladung zur langfristig geplanten 100-Jahr-Feier des Mathematisch-Physikalischen Seminars am 23.02.1979
Programmablauf der tatsächlich am 20.04.1979 durchgeführten Festveranstaltung
Programmablauf der tatsächlich am 20.04.1979 durchgeführten Festveranstaltung

Im Organ der SED-Parteileitung Die neue Universität [6] erscheint ein Beitrag zum Seminar mit folgendem Einleitungssatz: Die 100. Wiederkehr des Gründungstages des mathematisch-physikalischen Seminars in Rostock verbindet sich für uns mit dem 30. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik als dem bestimmenden gesellschaftlichen Ereignis des Jahres. Das durfte damals nicht fehlen.

Die Autoren danken Prof. em. Heinz Ulbricht für Auskünfte anlässlich eines Gespräches am 15.06.2018 sowie für Einsicht in schriftliche Unterlagen zur 100-Jahr-Feier 1979.

Reinhard Mahnke und Andreas Straßburg

Quellen:

[1] UA Rostock: Akte Kurator, Math.-Phys. Seminar 1879-1901, Bd. I, K082-0078.

[2] Statuten für das mathematisch-physikalische Seminar an der Universität zu Rostock. Druck von Adler’s Erben, Rostock, 1879. UB Rostock, Digitalisat RosDok purl.uni-rostock.de/rosdok/ppn802495737.

[3] UA Rostock: Akte Kurator, Math.-Phys. Seminar 1902-1920, Bd. II, K082-0079.

[4] R. Mahnke: Adolf Klingberg, Rost. Wiss.hist. Manuskr. Bd. 13, 1986, S. 34 – 37.

[5] de.wikipedia.org/wiki/Gustav_Mie (abgerufen am 21.08.2018).

[6] Die neue Universität, 20. Jg., Nr. 5, Ausgabe vom 16. März 1979, S. 4.