KALENDERBLATT AUGUST 2015

Werner Schnese - Wegbereiter der Ökosystemforschung an der Universität Rostock

Werner Schnese am Strand von Hiddensee 1977 (Foto: R. Heerkloss).

Professor Werner Schnese (1929-1985) begründete an der Rostocker Universität ein Zentrum für Küstengewässerforschung im Ostseeraum, um das hochgesteckte Ziel einer biokybernetischen Modellierung des Ökosystems der Boddengewässer südlich von der Halbinsel Darß-Zingst zu erreichen. Zum 30. Todestag von Werner Schnese im September 2015 möchte ich als sein enger Mitarbeiter während der Rostocker Zeit mit diesem Kalenderblatt darauf hinweisen, dass der von ihm ausgegangene schöpferische Impuls eine weitreichende Wirkung hatte. 

Schon während seines Biologiestudiums in Halle hatte Werner Schnese ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein entwickelt. Später wurde er zu einem Hochschullehrer mit charismatischer Ausstrahlung, der um ein ganzheitliches Verständnis komplexer Zusammenhänge im Spannungsfeld zwischen Ökologie und Ökonomie rang. Durch Vergleiche von Stoff-Kreisläufen in Gewässern und landwirtschaftlichen Betrieben suchte er nach Lösungsansätzen.  Unter großen Schwierigkeiten setzte er den Bau der  Laborstation Zingst durch. Sie gehört heute zu den wenigen im  deutschen Sprachraum erhalten gebliebenen ökologischen Feld-Stationen und verfügt über eine seit 1969 laufende lückenlose Datenreihe abiotischer und biotischer Parameter.

Es gelang ihm, die in die Boddenforschung eingebundenen Wissenschaftler durch Konferenzen und Workshops regelmäßig an einen Tisch zu bringen. Dadurch weckte er das Interesse für übergreifende ökologische Funktionsprinzipien. Als bei einer dieser Zusammenkünfte das umstrittene Problem der Interpretation ökologischer Regulationsmechanismen im Sinne eines kybernetischen Regelkreises diskutiert wurde, ermutigte er mich dazu, mich weiter damit zu beschäftigen. Dieser Impuls führte in meiner akademischen Laufbahn zu einer Weichenstellung. Aus seiner Anregung ging später an der Universität Rostock ein Plankton-Experiment hervor, mit dem die  Existenz von labilen Gleichgewichten im Rahmen von chaosdynamischen Attraktoren bewiesen werden konnte [2]. Professor Hartmut Arndt, ein ehemaliger Doktorand von Werner Schnese, führte ähnliche Untersuchungen an der Universität Köln durch [3].  Beide Publikationen waren wichtig bei einem Paradigmenwechsel in der Ökosystemforschung. Dieser führte dazu, dass man heute die früher bezweifelte Existenz deterministisch-chaotischen Verhaltens von  Populationssystemen in mathematischen Ökosystemmodellen berücksichtigt.

So reicht Werner Schneses Wirken weit über seine Lebenszeit hinaus. Er hat  diese Entwicklung intuitiv vorausgeahnt, denn das Wort „komplex“ gebrauchte er häufig. Die Chaostheorie wird auch als „Komplexitätstheorie“ bezeichnet. Deshalb möchte ich  mit diesem Kalenderblatt zur Liste der beteiligten Autoren von [2] und [3] symbolisch Werner Schneses Namen hinzufügen.

Reinhard Heerkloss

 

Werner Schnese hielt die Darß-Zingster Boddenkette mit ihrer abgestuften Nährstoffbelastung durch das Wechselspiel zwischen Süßwasserzuflüssen und schmaler Verbindung zur Ostsee für ein ideales Modellgewässer. Diese von ihm für einen Forschungsbericht erstellte Grafik zeigt die qualitative und quantitative Veränderung des Zooplanktons mit zunehmender Eutrophierung von Ost nach West, Jahresmittelwerte 1969-1973.

Quellen

[1] Catalogus Professorum Rostochiensium: purl.uni-rostock.de/cpr/00002349.
[2] E. Benincà, J. Huisman, R. Heerkloss, K.D. Jöhnk, P. Branco, E.H. Van Nes, M. Scheffer, S.P. Ellner: Chaos in a long-term experiment with a plankton community. In  Nature 451 (2008), S. 822 – 825.
[3] L. Becks, F.M. Hilker, H. Malchow, K. Jürgens, H. Arndt: Experimental demonstration of chaos in a microbial food web. In Nature 435 (2005), S. 1226-1229.