KALENDERBLATT JANUAR 2017

Carl Grosschopff (1835-1908) - ein Alumnus der Universität Rostock

Carl Grosschopff (Mit freundlicher Genehmigung des Archivs der Hansestadt Rostock, Signatur 3.18.1. P 479, Grosschopff, Carl)

Der Martens war ein netter Herr mit’m grauen Paletot und einem runden Hut. Der stocherte immer mit’m Handstock im Pflaster rum, ob vielleicht ein Stein locker ist, und wenn da einer locker war, dann schrieb er sich das auf und meldete das, damit da keiner hinfällt.“ Mit diesen Worten charakterisiert eine Nachbarin einen ferneren Verwandten in Walter Kempowskis Familienroman „Aus großer Zeit“ [1]. Der etwas eigenartig, in seinem Verhalten penibel-akkurat erscheinende alte Herr ist in Wirklichkeit niemand anders als der Urgroßonkel des Schriftstellers, Dr. Carl Grosschopff; er wird hier dem Leser als etwas pingelig, doch zugleich auch verantwortungsbewusst vorgestellt. Gewissenhaft und genau, zuverlässig und korrekt war er, und das sind nicht die schlechtesten Eigenschaften eines ernsthaften wissenschaftlichen Forschers.

Carl Hermann Otto Grosschopff, am 28.4.1835 in Güstrow als Sohn des Schneiders, Ausschussbürgers und Kirchenvorstehers Heinrich Georg Carl Grosschopff geboren, absolvierte eine Apothekerlehre in Güstrow und Bützow. Drei Semester studierte er – jedoch ohne reguläre Immatrikulation – in Rostock bei Johannes August Christian Roeper (1801-1885), Hermann Karsten (1809-1877) und Franz Schulze (1815-1873), im chemischen Laboratorium erlernte er die Ausführung analytischer Operationen, so berichtet Grosschopff in seinem Lebenslauf. Im WiSe 1854/55 legte er vor dem Medizinalkollegium die Apothekerprüfung ab. Es folgten Gehilfenjahre in Schwerin sowie in der Schweiz in einer Apotheke in Zug und in Basel. 1860 übernahm Grosschopff für kurze Zeit die Leitung der Apotheke in Stavenhagen, da der Besitzer Carl Grischow (1793-1860) – übrigens auch Ehrendoktor der Universität Rostock – verstorben war.

Ab 1861 arbeitete Grosschopff als Chemiker und Apotheker im Laboratorium des Friedrich Witte (1829-1893) in dessen Hirsch-Apotheke in Rostock. Schon bald wurde er als Leitender Chemiker mit Forschungsaufgaben in der von Witte 1862 gegründeten chemischen Fabrik betraut. In dieser Zeit begann übrigens eine langjährige Freundschaft mit dem nachmals so bedeutenden in Dorpat lehrenden Pharmakologen und Ordinarius Georg Dragendorff (1836-1898), der seine Apothekerausbildung bei Friedrich Witte absolviert hatte, als Assistent am Chemischen Institut der Universität Rostock arbeitete und dort 1861 promovierte. Dieses Ziel strebte auch Grosschopff an. Mit der Arbeit „Das Petroleum und seine Bestandtheile besonders das Petroleum-Aether in chemisch-technischer Beziehung“ und einer Prüfung in Chemie, Botanik und Physik erlangte er den Titel Dr. phil. [2]

Der Absatz pharmazeutischer Präparate der Chemischen Fabrik Witte gestaltete sich anfangs schwierig. Ein erster großer Erfolg, der die Firma weltweit zum Marktführer dieses Produkts machte, war 1871 das von Grosschopff entwickelte Verfahren zur Gewinnung von besonders reinem kristallinen Coffein aus Teestaub, der billig aus den Lagerhäusern bezogen werden konnte. Dieses Coffein, bis 1895 Verkaufs- und Exportschlager, begründete wegen seiner Qualität nachhaltig den Aufstieg und das Wachstum der Firma Witte, die nun rasch mit weiteren Produkten aus dem Laboratorium Grosschopffs nachlegte: 1873 folgte Pepsin, 1877 Pepton und Labpulver, 1880 Pancreatin und 1887 schließlich Papain. Von „bahnbrechenden Forschungsergebnissen“ ist in diesem Zusammenhang die Rede. Doch waren es nicht nur die Erfolge im Labormaßstab, wie die chemisch reine Isolierung der Enzyme, auf die sich die Charakteristik der Grosschopff'schen Leistung bezieht, sondern auch die Entwicklung von Technologien für eine günstige, qualitativ hochwertige Massenfertigung. Ein weiterer Welterfolg – neben dem Coffein und Pepsin – wurde das Witte'sche Pepton, das 1879 Robert Koch (1843-1910) für die Bakterienzüchtung besonders hervorhob. Auf nationalen und internationalen Ausstellungen und Messen (z. B. den Weltausstellungen in Wien 1873 und Chicago 1893) erhielten die im Witte'schen Laboratorium unter Leitung von Grosschopff entwickelten pharmazeutischen Produkte zahlreiche Anerkennungen und Auszeichnungen.

Dreißig Jahre arbeitete Carl Grosschopff sehr erfolgreich für die Chemische Fabrik Witte. Zunehmende gesundheitliche Probleme veranlassten ihn, sich zum Jahresbeginn 1891 in den Ruhestand zu verabschieden. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er in Rostock, in der Stadt, in der er sich besonders wohl fühlte, - auch weiterhin geistig rege, vielseitig interessiert und öffentlich in verschiedener Weise ehrenamtlich engagiert.

Am 24.3.1908 starb Carl Grosschopff. Im Nachruf von Friedrich-Carl Witte (1864-1938), seit 1893 Firmeninhaber, wurden noch einmal „die organisatorische Tatkraft, der erfinderische Geist und die ausgezeichneten Kenntnisse des Entschlafenen“ besonders hervorgehoben. Er - selbst Schüler von Grosschopff im Firmenlabor - charakterisierte den Chemiker als "einen Lehrchef allerersten Ranges" sowie als "außerordentlich befähigten Gelehrten und Praktiker". [3]

Günter Kruse

Quellen

[1] W. Kempowski: Aus großer Zeit. Knaus, Hamburg, 1978, S. 31.
[2] Universitätsarchiv Rostock, Promotionsakte Carl Grosschopff.
[3] F. C. Witte: Lebenserinnerungen. 2. Teil, Rostock, 1939, S. 130 und S. 139.

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