KALENDERBLATT JUNI 2017

Das Physikalische Praktikum gestern und heute

Für das Sommersemester 1875 kündigt Ludwig Matthiessen, Ordinarius der Physik seit 1874, folgende Lehrveranstaltungen an [1, 2]:

  1. Erster Teil der Experimentalphysik
  2. Vorlesungen der praktischen Physik im Laboratorium
  3. Besprechungen über physikalische Gegenstände.

Aus der unter Punkt 2 genannten Praktischen Physik entwickelt sich das Physikalische Praktikum, zuerst als praktisch-physikalische Übungen (8-stündig, später 12-stündig) angezeigt. Aus diesen Veranstaltungen entstehen das Kleine physikalische Praktikum für Mathematiker, Mediziner, Chemiker sowie Pharmazeuten und das Große physikalische Praktikum (Anleitung für wissenschaftliches Arbeiten für Geübte). Diese Lehrveranstaltungen entsprechen dem heutigen Praktikum für Nebenfach- sowie dem Grund- und Fortgeschrittenenpraktikum für Physik-Studierende.

Links: Blick in das Grundpraktikum I auf dem rekonstruierten Dachboden im Institut für Physik am Universitätsplatz 3 im Jahr 1994 (Foto: N. Enenkel, privat).

Rechts: Versuchsaufbau im Physikalischen Praktikum (Grundpraktikum III) 2017 im Neubau der Physik in der Albert-Einstein-Str. 23/24 (Foto: N. Enenkel, privat).

Im Physik-Institut am Universitätsplatz sind die Praktikumsräume zuerst im 2. Obergeschoss untergebracht. In den 1950er Jahren erfolgt der Ausbau des Dachbodens zum Praktikumsaal, dessen Modernisierung 1993/94 beginnt (Foto l.) und 1997/98 endet. Nach dem Umzug 2015 in die Albert-Einstein-Str. befindet sich das Praktikum jetzt im Lehrgebäude (Ultraschallwellen-Versuch im Foto r.).

Nach der Hochschulreform 1968 wird an der Rostocker Sektion Physik eine selbständige Arbeitsgruppe Physikalisches Praktikum gegründet, dessen Leiter Dr. Gerhart Ruickoldt (1931 – 2001) wird. In der Folgezeit sind seit 1993 Dr. Ulrich Schnell (geb. 1942), seit 2004 Dr. Norbert Enenkel (geb. 1952), seit 2008 Dipl.-Ing. Dieter Bojarski (geb. 1948) sowie seit 2013 MSc. Stephan Graunke (geb. 1982) in verantwortlicher Position für das Praktikum tätig. Dr. Ruickoldt initiierte die Tagung der Leiter der Physikalischen Praktika Deutschlands, die in jährlichem Wechsel an einer anderen Universität stattfindet. 2017 treffen sich die Praktikumsverantwortlichen bereits zur 43. Zusammenkunft.

Der von Dr. Enenkel mitkonzipierte Versuchsaufbau Beugung an stehenden Ultraschallwellen – Debye-Sears-Effekt erlaubt die Messung der Ultraschallgeschwindigkeit. Dieser Versuch zur Sichtbarmachung stehender Ultraschallwellen in Flüssigkeiten, siehe Abbildung rechts, basiert auf einer Publikation von Ch. Bachem, E. Hiedemann und H. R. Asbach [3] und hat einen historischen Hintergrund zur Rostocker Physik. Die genannte Arbeit entsteht im Dezember 1933 in der Abteilung für Elektrolytforschung am Physikalischen Institut der Universität Köln. Die Autoren danken im Nachwort "dem Leiter der Abteilung, Herrn Prof. Dr. H. Falkenhagen, für sein großes Interesse und einige anregende Diskussionen im Zusammenhang mit unseren Untersuchungen".

Der theoretische Physiker und Elektrolytforscher Hans Falkenhagen (1895 – 1971) wird 1949 als Professor an die Universität Rostock berufen und gründet 1951 das Institut für Theoretische Physik. Seine Monografie Elektrolyte erlebt mehrere Auflagen und wird 1971 als Theorie der Elektrolyte [4] unter Mitwirkung vom damaligen Dozenten Dr. Werner Ebeling neu herausgegeben.

Reinhard Mahnke, Norbert Enenkel

Quellen

[1] Personalakte und Nachlass Ludwig Matthiessen, UAR.

[2] Verzeichnis der Behörden, Lehrer, Beamten, Institute und Studierenden der Universität Rostock, rosdok.uni-rostock.de/data/Preview-PuV/PDF/1874_SS_PV.pdf .

[3] Ch. Bachem, E. Hiedemann und H. R. Asbach: Die Sichtbarmachung stehender Ultraschallwellen in Flüssigkeiten und eine neue Methode zur Bestimmung der Ultraschallgeschwindigkeit. In: Zeitschrift für Physik 87, 1934, S. 734-737.

[4] H. Falkenhagen: Theorie der Elektrolyte. S. Hirzel Verlag, Leipzig, 1971.